Dienstag, 18. Februar
2003
Berlin, Axica Kongress- und Tagungszentrum, Nachmittagssitzung
Gertrud Stöcker, geladener Gast:
Sehr geehrter Herr Professor Hoppe! Meine sehr verehrten Herren
und Damen! Ich darf Ihnen im Namen der Gesundheitsberufe im „Bündnis
Gesundheit 2000“ für die Einladung zum heutigen außerordentlichen
Deutschen Ärztetag danken und möchte Ihnen die herzlichsten
Grüße der Bündnismitglieder übermitteln.
Wer sich für eine Tätigkeit im Gesundheitswesen entscheidet,
ist sich darüber im Klaren, dass er mit unregelmäßigen
Arbeitszeiten, Überstunden und hoher persönlicher Belastung
wird leben müssen. Das wissen Sie, die Ärztinnen und Ärzte,
das wissen wir, die Krankenschwestern und Krankenpfleger. Das wissen
natürlich auch die vielen anderen Beschäftigten im Gesundheitswesen,
die tagein, tagaus für die Patienten arbeiten.
Sie nehmen die Belastungen des Berufs auf sich, weil sie kranken
Menschen helfen wollen.
Es gibt aber auch für diese hoch motivierten Menschen Grenzen
der Belastung. Diese Grenzen, meine Herren und Damen, ist bei vielen
erreicht. Die Kostendämpfungspolitik der vergangenen Jahrzehnte
hat inzwischen dazu geführt, dass viele der Beschäftigten
in den Gesundheitsberufen ihre Berufswahl heute überdenken.
Mancher Berufsanwärter oder Absolvent hat es sich inzwischen
schon anders überlegt und lässt sich überhaupt nicht
mehr auf das Abenteuer Patientenversorgung ein.
Gerade angesichts steigender Patientenzahlen ist diese Tendenz
mehr als besorgniserregend. In der professionellen Pflege sowie
bei der Betreuung der Patienten in ambulanten und stationären
Einrichtungen, aber auch in Arztpraxen stellt sich die Situation
inzwischen so dar, dass für Gespräche mit den Patienten
kaum noch Zeit bleibt. Auch hieran macht sich Rationierung bemerkbar
und fest. Wenn wegen fehlender Mittel nicht ausreichend Personal
eingestellt wird, um die Patienten zu betreuen, bleibt verständlicherweise
auch wenig Zeit für echte menschliche Zuwendung. Bei uns in
Deutschland gehen die unbezahlten Arbeitsstunden in die Millionen.
Darüber aber legt die Politik gern den Mantel des Schweigens.
Das hohe Niveau der medizinischen und pflegerischen Versorgung
ist dem Einsatz und dem oftmals unentgeltlichen Engagement der Beschäftigten
im Gesundheitswesen zu danken. Durch die Dauerbudgetierung seit
Lahnstein I hat sich die Situation aber weiter verschärft:
Stellen fallen weg oder Stellen werden einfach nicht mehr besetzt.
Die ohnehin schon hohe Arbeitsverdichtung nimmt weiter zu. Auch
werden zunehmend geringer Qualifizierte - hier spreche ich für
die Pflege - in den unterschiedlichen Bereichen eingesetzt. Das
wiederum beeinträchtigt die Qualität der Leistungen. Qualitätssicherung
ist aber kein Instrument zur Kostendämpfung.
Deshalb ist und war es das Ziel des „Bündnisses Gesundheit
2000“, die Bevölkerung über die gravierenden Folgen
einer verfehlten Strukturpolitik im Gesundheitswesen aufzuklären.
Dauerbudgetierung, permanente Arbeitsüberlastung und Reglementierung
sind Missstände, die durch das Engagement der Beschäftigten
nicht mehr kompensiert werden können und die man mit Reden
und Appellen auch nicht beseitigt.
Wenn eine gute Gesundheitsversorgung erhalten bleiben soll, dann
brauchen wir reale Veränderungen der wirtschaftlichen und beruflichen
Rahmenbedingungen, die wieder Zuwendung möglich machen, wo
Zuteilung, also Rationierung, droht. Das „Bündnis Gesundheit
2000“ fordert deshalb eine Reform des Gesundheitswesens, die
diesen Namen verdient und die nur gemeinsam mit uns entwickelt werden
kann. Veränderungsprozesse sind etwas ganz Normales. Wir stellen
uns ihnen. Für uns ist auch klar: Der Patient steht dabei im
Mittelpunkt, und zwar nicht nur rhetorisch. Die Patienten müssen
in die Lage versetzt werden, aktiv mitzuentscheiden, wenn es um
ihre Belange geht. Die Gesundheitsberufe sind dabei Partner und
nicht, wie so gern von politischer Seite dargestellt, der natürliche
Feind des Patienten.
(Beifall)
Die Leidtragenden einer verfehlten Politik sind die Patienten und
die im Gesundheitswesen Beschäftigten. Schon heute gibt es
in vielen Bereichen Unterversorgung, Versorgungsdefizite. Die Budgetkürzungen
zementieren diese Zustände weiter. Wir aber wollen keine Wartelisten
und keine englischen Verhältnisse. Dagegen wehren wir - das
„Bündnis Gesundheit 2000“ - uns. Da stehen wir
alle gemeinsam, Sie und das „Bündnis Gesundheit 2000“,
Schulter an Schulter.
Vielen Dank.
(Beifall)
Prof. Dr. Dr. h. c. Jörg-Dietrich Hoppe,
Präsident der Bundesärztekammer und des Deutschen Ärztetages:
Vielen Dank, Frau Stöcker. - Das Wort hat jetzt Herr Kollege
Auler aus Mönchengladbach.
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