In der
Herbstsitzung der Akademie referierten Prof. Schulze, Präsident der Sächsischen
Landesärztekammer, und Dr. Sturm, zweiter stellvertretender Bundesvorsitzender des BDA, über die praktischen Erfahrungen mit den Leitlinien
zum Typ 2 Diabetes in Sachsen. Dr. Sturm berichtete – insbesondere aus
hausärztlicher Perspektive – und führte aus, dass bereits 1991 in Sachsen ein
erster Modellvertrag zur Verbesserung der Versorgung von Diabetikern zwischen
den gesetzlichen Krankenkassen und der KV Sachsen abgeschlossen wurde. Das sächsische
Diabetes-Qualitätsmanagement wurde seither mit Anschubfinanzierung des
Bundesministeriums für Gesundheit kontinuierlich weiterentwickelt. Die multidisziplinäre Fachkommission Diabetes
in Sachsen veröffentlichte 1997 eine handlungsorientierte Diabetes
mellitus-Leitlinie, die Grundlage für das von Dr. Sturm dargestellte
Diabetesprojekt in Sachsen in den Jahren 2000 bis 2002 bildete.
Voraussetzung
für das überaus erfolgreiche sächsische Modellvorhaben, bei dem der Anteil der
Hochrisiko-Typ 2 Diabetiker (HbA1 c > 7,5 %) im Verlauf von zwei Jahren um
53 % verringert werden konnte, war u. a. die systematische Einbindung der
Leitlinien-Anwender (Hausärzte, Schwerpunkt-Diabetologen, Patienten) in die
Entwicklung der Leitlinie bzw. des strukturierten Behandlungsprogramms. Auf
diese Weise konnten u. a. die Schnittstellen zwischen hausärztlicher und
Schwerpunkt-Praxis- bzw. Klinikversorgung bei Typ 2 Diabetes im Fachgebiete-
und Sektorenübergreifenden Konsens festgelegt werden. Die Praktikabilität der
Leitlinie bzw. die Zwischenergebnisse des Behandlungsprogramms wurden
fortlaufend in eigens dafür geschaffenen Qualitätszirkeln reflektiert. Die
Orientierung der sächsischen Diabetes-Leitlinie an der hausärztlichen
Arbeitsmethodik und Begrifflichkeit und der in den Qualitätszirkeln vertieften
Leitlinienkompetenz haben in Sachsen eine positive Leitlinien-Erfahrung
geschaffen, weshalb der Stellenwert von Leitlinien im Hinblick auf die
Erleichterung von Therapieentscheidungen, Verbesserung der Betreuungsqualität,
aber auch im Hinblick auf Wirtschaftlichkeitsprüfung von der Sächsischen
Ärzteschaft weitaus positiver beurteilt wird als sonst im Bundesdurchschnitt.
Anders
als im Bezug auf den mittleren HbA1c-Wert konnte bezugnehmend auf den mittleren
systolischen Blutdruck – der zweite
Parameter zur Messung der Ergebnisqualität im Sächsischen Diabetes-Projekt –
keine so eindrucksvolle Reduzierung der Risikopatienten erzielt werden. Es
zeichne sich ab, dass langfristig eine Reduzierung der Morbidität und
Mortalität durch strukturierte Behandlungsprogramme nur dann zu erwarten sein
dürfte, wenn pathogenetisch interagierende Komorbiditäten zusammengefasst
werden. Dies belegen auch Erfahrungen mit Disease-Management-Programmen in den
USA. Basierend auf den Erkenntnissen und Erfahrungen des Sächsischen
Diabetes-Projekts befürworten Dr. Sturm und Prof. Schulze deshalb für die
Zukunft ein Disease-Management-Programm „Stoffwechsel- Herz-Kreislauf“, das das
metabolische Syndrom einschließlich seiner Folgeerkrankungen abdeckt, an Stelle
der vom Bundesministerium für Gesundheit und seinem Berater Prof. Lauterbach
nach wie vor promovierten Mono-Disease-Management-Programme (sog.
Silo-Konzept).
Trotz der
hohen Compliance bei allen Beteiligten des Sächsischen Diabetes-Projekts
(Patienten, Hausärzten, Schwerpunkt-Diabetologen sowie Universitätskliniken)
und der eindrucksvollen Reduzierung der Hochrisiko-Typ 2 Diabetiker auf unter
50 % wurden die sächsischen Diabetes-Verträge von der AOK Sachsen einseitig
gekündigt bzw. werden ab 2003 durch die gesetzlich nach § 137 e SGB V angeschobenen Disease-Management-Programme
der Krankenkassen ersetzt.
Durch
aktive Beteiligung aller Gruppen, vom Patienten bis zum Spezialisten,
Berücksichtigung der hausärztlichen Arbeitsmethodik – einschließlich praxisorientierter
Beschreibung der Therapieziele mit ergebnisabhängiger Definition der
Versorgungsschnittstellen – stellt die Sächsische Diabetes Leitlinie eine
Praxisleitlinie dar, mit der es in vorbildlicher Weise gelungen ist, die Lücke
zwischen Expertenwissen und
Implementierung in den Versorgungsalltag zu schließen.
In einem
weiteren Beitrag stellte Prof. Schulze die Entwicklung bzw. das Aufgabenprofil
der „Nationalen Versorgungsleitlinie Diabetes mellitus Typ 2“ dar, die als
Rahmenempfehlung zu verstehen ist und national normenbildend wirken soll,
ohne – anders als eine Praxisleitlinie –
die konkrete Anwendbarkeit, z. B. in regionalen Diabetes-Verträgen,
ausformulieren zu können oder zu wollen. Ziel der Nationalen
Versorgungsleitlinie Diabetes mellitus Typ 2 ist, die Schlüsselempfehlungen aus
den maßgeblichen deutschen und ausländischen evidenzbasierten Experten- und
Praxisleitlinien herauszufiltern, und zu von den entscheidenden deutschen
Expertengremien konsentierten Rahmenempfehlungen zusammenzufassen. Die jetzt
vorliegende Nationale Versorgungsleitlinie Diabetes mellitus Typ 2 führt die
Therapieempfehlungen der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft
(AkdÄ), der Leitlinie der Deutschen Diabetes-Gesellschaft (DDG), der
Praxisleitlinien der Fachkommission Diabetes Sachsen, der schottischen
SIGN-Leitlinie „Management of Diabetes“ und des US-amerikanischen
„ADA-Standards for Diabetes“ zusammen. Die noch ausstehende Langfassung wird
die seit Mai 2002 vorliegende Kurzfassung der Nationalen Leitlinie Diabetes
mellitus Typ 2 u. a. um die Darlegung der Quellensammlung, der Evidenzbewertung
sowie die Darstellung der Methodik der Leitlinien-Erstellung ergänzen.
Aus
Sicht der Vertreter der Allgemeinmedizin wurde die unzureichende Einbeziehung
der Kompetenz der Allgemeinmediziner in die Erstellung der Versorgungsleitlinie
bemängelt, die teils Ursachen in der Konzeption der Nationalen
Versorgungsleitlinie im Sinne einer Expertenleitlinie hat, teils auf die in
diesem besonderen Fall unzureichende Mitwirkung der DEGAM zurückzuführen ist. Die Akademie regte an,
die eindrucksvollen Ergebnisse des auf den Sächsischen Diabetes-Leitlinien
basierenden Behandlungsprogramms zum Diabetes Typ 2 nochmals in einem
bundesweit erscheinenden Organ, z.B. im Deutschen Ärzteblatt, zu
veröffentlichen.
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