Regelmäßiger
Beratungsgegenstand in der Akademie der Gebietsärzte ist die Bewertung der
aktuellen gesundheits- und sozialpolitischen Lage aus fachärztlicher Sicht. In
der Frühjahrssitzung der Akademie wurde auf der Grundlage eines Berichtes der
Vizepräsidentin, Frau Dr. Ursula Auerswald, über die gesundheitspolitischen
Aussagen bzw. Programme der Parteien für den bevorstehenden Bundestagswahlkampf
diskutiert, so z. B. auch über die Ergebnisse des so genannten „Runden Tisches“
im Gesundheitswesen, der in verschiedenen Arbeitsgruppen Ergebnisse für die
Weiterentwicklung des Gesundheitswesens erarbeiten soll. Die bestehenden
Arbeitsgruppen wurden um eine Arbeitsgruppe „Finanzierung“ sowie eine
Arbeitsgruppe „Grundprinzipien der Leistungserbringung“ ergänzt. Letztere hatte
das Ziel, eine ordnungspolitische Debatte über die verschiedenen
Steuerungsebenen im Gesundheitswesen zu führen und zwar im Bezug auf deren
Zuständigkeit für den Leistungsrahmen, die inhaltliche Ausfüllung dieses
Rahmens, Qualitätssicherung, die Organisationsstruktur der Versorgung und die
Vertragsgestaltung. Während konsentierte Positionen zur Zuordnung und
Ausfüllung des Leistungskatalogs sowie zu den Anforderungen an eine
Mindestqualität erreicht wurden, gab es divergente Auffassungen bezüglich der
Organisationsstruktur und Vertragsgestaltung. Die kontroverse Diskussion
verdeutlichte Bestrebungen der Spitzenverbände der Krankenkassen, dem
Einzelvertragssystem mehr Raum als dem Kollektivvertragssystem zu geben. Dabei
wurde eine offensichtliche Fehleinschätzung der Krankenkassen hinsichtlich
ihrer Möglichkeiten beim Abschluss von Einzelverträgen erkennbar, nämlich, dass
bei privatrechtlicher Vertragsgestaltung die verfassungsrechtlich gesicherten
Grundrechte in Artikel 12 und 3 Grundgesetz zu beachten sind und gesetzliche
Krankenkassen als Einrichtungen der öffentlich-rechtlichen Daseinsvorsorge auch
beim Instrument privatrechtlicher Einzelverträge diesen rechtlichen Rahmen zu
beachten haben. So wurde verdeutlicht, dass beim selektiven Kontrahieren
nachvollziehbare Auswahlkriterien mit Leistungserbringern, eine öffentliche
Ausschreibung, die Bekanntgabe objektiver Auswahlkriterien und damit ein
transparentes und rechtlich überprüfbares Verfahren gegeben sein müssen. Die
Auswirkungen einer marktbeherrschenden Stellung einer gesetzlichen Krankenkasse
mit der Folge, zum Vertragsabschluss gezwungen zu sein, wurde in Verkennung der
Rechtslage von Vertretern der Krankenkassen in Frage gestellt. Die
Konsentrierung des Empfehlungspapiers dieser Arbeitsgruppe wurde seitens der
Ärzteschaft davon abhängig gemacht, dass eine klare Positionierung der
Spitzenverbände der Krankenkassen zu dem angestrebten, geordneten Neben-/ bzw.
Miteinander von Kollektiv und Einzelvertragssystem erfolgt.
Die
Beratungen in der Arbeitsgruppe „Finanzierung“ des Runden Tisches
konzentrierten sich auf Optionen zur Verbreiterung der finanziellen Basis der
gesetzlichen Krankenversicherung. Eine Option ist dabei die Anhebung der
Versicherungspflichtgrenze, die aus Sicht der Ärzteschaft negative
Auswirkungen, insbesondere auf den Umfang und den Stellenwert der
privatärztlichen Versorgung, hat. Gegen eine Anhebung der
Versicherungspflichtgrenze hat sich der Präsident der Bundesärztekammer in
öffentlichen Publikationen ausgesprochen, da vordergründig die Solidarbasis
zwar gestärkt würde, zugleich die Schutzfunktion der GKV auf Personenkreise ausgedehnt
würde, die dieses Schutzes auf Grund ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit
nicht bedürfen. Die gesetzliche Krankenversicherung sei eine gesellschaftliche
Einrichtung zur Absicherung gegen das Risiko der Krankheit als
Schutzgemeinschaft für sozial Sicherungsbedürftige.
Prägend für das gegliederte Krankenversicherungssystem seien die Prinzipien
Eigenverantwortung, Subsidiarität und Solidarität; der Austarierung dieser
Grundprinzipien, auch im Bezug auf ein sinnvolles Nebeneinander von
gesetzlicher und privater Krankenversicherung, komme für unsere Gesellschaft
große Bedeutung zu.
Die
Mitglieder der Akademie diskutierten Ergebnisse der Arbeitsgruppen des „Runden
Tisches“ und sahen es als wesentliches Ziel der Akademie an, eine qualitativ
hochstehende fachärztliche Versorgung zu erhalten und auf eine bessere
innerärztliche Abstimmung zwischen Haus- und Fachärzten, insbesondere bei der
Gestaltung der Disease-Management-Programme, hinzuwirken sowie die
Vergütungssysteme als Voraussetzung zur Überwindung der Abschottung der
Versorgungsbereiche durch sektorale Budgets anzugleichen. Die neue
Entgeltverordnung im Krankenhaus wurde kritisch beleuchtet, vor allem auf Grund
der Erkenntnisse über die Auswirkungen dieses Vergütungssystems in Australien.
Eine Begleitforschung wurde gefordert, die über den Krankenhausbereich hinaus
die anderen Versorgungsbereiche und die Auswirkungen des Vergütungssystems auf
diese mit einbezieht, um Verlagerungseffekte und negative
Versorgungsentwicklungen frühzeitig aufdecken zu können.
In der
Herbstsitzung der Akademie erstattete der Präsident der Bundesärztekammer den
Bericht zur gesundheits- und sozialpolitischen Lage und befasste sich mit der
Strategie der wiedergewählten Bundesregierung zum Systemwandel des
Gesundheitswesens. Die Bundesregierung steuere einen Systemwandel, einen
„Kulturwechsel in der Medizin“ an. Die Ärzteschaft müsse in Erkenntnis dieser
gezielten Strategie ihre Kräfte bündeln, um den Kampf für eine gute ärztliche
Versorgung, aber auch für den Erhalt der Berufsfreiheit zu bestehen und sich
nicht in internen Querelen zu verbrauchen.
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