Integration ambulanter und stationärer ärztlicher Versorgung

Ein vom Vorstand der Bundesärztekammer für die Wahlperiode 1999/2003 neugebildeter Ausschuss „Integration“ unter dem Vorsitz des Präsidenten der Bundesärztekammer, Prof. Dr. Dr. h.c. J.-D. Hoppe, hat sich zur Aufgabe gemacht, die derzeitige Situation im Gesundheitssystem mit dem Ziel einer besseren Verbindung von ambulanter und stationärer Versorgung und deren Hemmnisse zu analysieren und Vorschläge zur Realisierung von Integrationsansätzen zu erarbeiten. Um Synergieeffekte auf Bundesebene zu verstärken, ist als ständiger Gast Dr. Hess, Hauptgeschäftsführer der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, in diesem Gremium vertreten.

Im Vordergrund der bisherigen Arbeiten stehen folgende Themenschwerpunkte:

    Konzept für ein einheitliches Vergütungssystem für ambulante und stationäre Leistungen

    Rahmenvereinbarung zwischen der Kassenärztlichen Bundesvereinigung und den Spitzenverbänden der Krankenkassen zur integrierten Versorgung nach § 140 d SGB V

    Auswirkungen der Einführung der DRG im Krankenhaus auf andere Versorgungsbereiche

    Beratung und Bewertung ausgewählter Modellprojekte zur integrierten Versorgung

    Erarbeitung von Handreichungen zur Erleichterung der sektorübergreifenden Versorgung, z.B. eines Vertragsmusters über die „Einrichtung einer Notfallpraxis am Krankenhaus“ zwischen der Deutschen Krankenhausgesellschaft, der Kassenärztlichen Bundesvereinigung und der Bundesärztekammer

    Gründung bzw. Förderung einer Netzakademie für Versorgungsstrukturen im Gesundheitswesen e. V. unter Beteiligung der Bundesärztekammer und der Kassenärztlichen Bundesvereinigung

Themenschwerpunkte im Berichtsjahr waren:

Identifizierung von Verlagerungseffekten aus dem stationären in den ambulanten Versorgungsbereich durch die Einführung der DRGs.

Vorliegende belegbare Ergebnisse internationaler Studien über die Auswirkungen der DRGs auf andere Versorgungsbereiche lassen Prognosen auf nationaler Ebene zu. So ist in Australien eine Zunahme des Wettbewerbs zwischen den Krankenhäusern mit zum Teil massivem Rückgang der Bettenzahl bei gleichzeitiger Zunahme der Fallzahlen und einer erheblichen Verweildauerkürzung zu beobachten. Ferner sind neuartige Behandlungsarten, wie z. B. das „Hospital at home“, zu beobachten, welche die Lücken zwischen Krankenhausaufenthalt und ambulanter Versorgung schließen helfen sollen. Diese Entwicklungen führten auch zur Reduzierung des Ausgabenanteils für den Krankenhausbereich zu Gunsten der ambulanten Versorgung. Beobachtungen bei DRG-basierter Medicare-Vergütung stationärer Krankenhausleistungen in den USA zeigen eine Verringerung der durchschnittlichen Verweildauer, Abnahme der durchschnittlichen stationären Belegungsquote und Reduktion der Aufwendungen der Medicare für stationäre Behandlungen bezogen auf die Gesamtausgaben.

Insgesamt bewirkt die Einführung der DRGs eine umfassende Kosten- und Leistungstransparenz in und zwischen den Krankenhäusern. Auch in Deutschland ist eine möglichst große Finanzierungswirksamkeit des DRG-Vergütungssystems beabsichtigt, so dass auch hier zulande mit weit reichenden Wechselwirkungen zu den angeschlossenen Versorgungsbereichen, insbesondere der ambulanten und rehabilitativen Versorgung sowie der Pflege zu rechnen ist. Das erfolgreiche Krankenhaus von morgen wird sich vom heutigen „Gemischtwarenladen“ zum spezialisierten „Profitcenter“ entwickeln. Der im Ausland erkennbare Trend des deutlichen Zuwachses der stationären Fallzahlen bei erheblicher Reduktion der Verweildauer gibt es vor: anstelle der „Rundumbetreuung“ wie dem Streben, möglichst sämtliche Gesundheitsprobleme des Patienten im Rahmen des jeweiligen Krankenhausaufenthaltes anzugehen, wie etwa bei pflegebedürftigen älteren Menschen ohne Familie, tritt die gezielte fraktionierte Behandlung des spezifischen Einzelproblems. Im Falle der notwendigen interdisziplinären Zusammenarbeit zwingt der ökonomische Druck zur schnellstmöglichen Klärung der Zuständigkeiten im Interesse eines ökonomisch effizienten Fallmanagements.

Auch an der ambulant-stationären Schnittstelle müssen die Zuständigkeiten neu definiert werden. Es wird entsprechend der international beobachteten Verlagerungseffekte auch in Deutschland zu beobachten sein, dass die bisher im Krankenhaus geleistete rehabilitative und pflegerische Versorgung in den ambulanten Bereich, in die Rehabilitationskliniken oder in Altenheime verlagert wird. Insbesondere wird sich dies vor allem durch eine Erweiterung der prästationären wie der präoperativen ambulanten Diagnostik und der ambulanten post-stationären Nachsorge bemerkbar machen.

Auf Grund der arbeitsteiligen Gestaltung der Versorgungssektoren mit sektoraler Abgrenzung sind in Deutschland der international festgestellten Flexibilisierung des stationären Versorgungsbereiches in Richtung auf teilstationäre Tagesbehandlung und ambulante Versorgung im Krankenhaus Grenzen gesetzt. Politisch gewünschte Strategien aus ökonomischer Rationalität dürfen nicht zu Lasten der Patienten gehen. Deshalb sind notwendige Strukturen zum Auffangen frühzeitig entlassener Patienten zu schaffen und die Finanzierung notwendiger ambulanter Rehabilitations- und Pflegeleistungen sicherzustellen.

Darüber hinaus bewirkt eine Verkürzung der Verweildauern und eine Erhöhung der Fallzahl, dass Belegärzte dann ebenso wie die Hauptabteilungen ihren Beitrag zum Erhalt bzw. zur Steigerung des Erlösvolumens leisten müssten. Daraus würde eine belegärztliche Leistungsverdichtung sowohl im stationären als auch im ambulanten Bereich ohne zusätzliche Mittel aus dem Krankenhausbudget resultieren, so dass aus dem vertragsärztlichen Gesamtbudget gegenfinanziert werden müsste.

Frührehabilitation und Akutbehandlung müssen ineinander greifen, damit die Funktionsfähigkeiten des Patienten optimal gefördert werden können. Gründe für den frühestmöglichen Beginn der Rehabilitation im Akutkrankenhaus sind Vermeidung von Komplikationen und Sekundärschäden wie z. B. Kontrakturen, Nutzung der Spontanremissionsphase und der positiven Verstärkung durch das soziale Umfeld, d.h. „Wohnortnähe“ des Akutkrankenhauses, Verkürzung der Gesamtbehandlungsdauer sowie Verringerung der Gesamtkosten.

Zur Frage, wie sich die Strukturen im Gesundheitssektor im Hinblick auf Akutkrankenhäuser einerseits und Rehabilitationskliniken und Pflegeeinrichtungen andererseits durch die Verkürzung der Verweildauer verändern könnten, können zwei Möglichkeiten der Entwicklung als realistisch angesehen werden:

1.    Das Akutkrankenhaus wird mit eigenen Abteilungen, die ansonsten dem Kapazitätsabbau unterliegen würden, in Akut- und Rehabilitationsabteilungen, insbesondere zur Integration der Frührehabilitation, umfunktioniert und bietet insofern eine komplette Akut- und Rehabilitationsversorgung aus einer Hand. Damit tritt das Akutkrankenhaus in Konkurrenz zu den Rehabilitationseinrichtungen anderer Träger.


2.    Alternativ kann das Krankenhaus mehr Fälle in den Rehabilitationsbereich verlagern mit dem Risiko, dass Patienten durch medizinische Unterversorgung gefährdet sein können oder dass in einer Rehabilitationsklinik ein akutmedizinischer Versorgungsbereich aufgebaut wird.

Auf Grund der möglichen Konsequenzen, die durch die Einführung der DRGs folgen, fordert der Ausschuss „Integration“ im Hinblick auf die weitere Entwicklung der Versorgungsstrukturen, dass

    Formen der nachgehenden Behandlung ausgebaut werden müssen, wie Nachsorgeeinrichtungen, Tageskliniken, Notfallversorgung und Pflegeeinrichtungen.

    ausgelagerte Leistungen bei Aufrechterhaltung der sektoralen Budgets finanziert werden müssen, sie können nicht aus den bestehenden Budgets mit der Folge des Punktewertverfalls bezahlt werden.

    die Rehabilitationsleistungen in Akutkrankenhäusern und Rehabilitationskliniken in ausreichendem Maße in den DRGs abgebildet werden müssen, da ansonsten eine Mangelversorgung der Patienten droht.

© 2003, Bundesärztekammer.