Die
Bundesärztekammer und die AWMF begrüßen, dass ihnen durch das Bundesministerium
für Gesundheit noch vor Erlass einer Rechtsverordnung nach § 17 Abs. 7 KHG über
ein DRG-Optionsmodell 2003 Gelegenheit zu einer Äußerung über den zu Grunde
liegenden Fallpauschalen-Katalog gegeben wird. Sie geben hierzu folgende
gemeinsame Stellungnahme ab:
Nachdem
die Gesamtverhandlungen der Vertragsparteien über das DRG-Optionsmodell 2003 am
24.06.2002 als gescheitert erklärt wurden, hat die Firma SBG, Berlin, die
Handbücher im Auftrage des Bundesministeriums für Gesundheit und des Instituts
für das Entgeltsystem im Krankenhaus (InEK gGmbH) fertig gestellt:
• Eine Einbindung der Bundesärztekammer
sowie der AWMF und ihrer Fachgesellschaften hat im Rahmen der Erstellung der
Handbücher nicht stattgefunden.
• Die bei der Übertragung der
australischen AR-DRG-Handbücher, Version 4.1 in die vorgelegten
G-DRG-Handbücher genutzte Methodik wurde nicht transparent gemacht.
• Die einen systematischen Vergleich
beider Fassungen ermöglichenden und die Übertragung nachvollziehbar machenden
Mapping-Tabellen sind nicht zugänglich.
• Eine Validierung der
Mapping-Tabellen mittels repräsentativer deutscher Krankenhausdaten ist ebenso
unterblieben.
Diese
intransparente Vorgehensweise macht eine vollständige Bewertung der in denG-DRG-Handbüchern vorgenommenen Zuordnungen
deutscher ICD-10-SGBV- und insbesondere OPS-301-Kodes zu den einzelnen
Fallpauschalen innerhalb der kurzen verfügbaren Zeit nicht möglich.
Bereits
bei der stichprobenhaften Prüfung wird jedoch deutlich, dass die vorgelegtenG-DRG-Handbücher das nach dem Begleittext ihrer
Veröffentlichung vorgegebene Ziel einer im Vergleich mit der australischen
Version „möglichst unveränderten Fallgruppenzuordnung“ verfehlen. Insbesondere
durch die vorgenommenen DRG-Zuordnungen der nicht 1:1 auf die australischen
MBS-Kodes überleitbaren deutschen OPS-301-Prozedurenkodes resultieren teils
erhebliche Änderungen der Fallgruppendefinitionen. Diese sind hauptsächlich darauf
zurück zu führen, dass
• unspezifische
MBS-Kodes auf spezifische OPS-301-Kodes gemappt wurden
Beispiel: Der den Kraniotomie-DRGs B02A,
B02B, B02C zugeordnete unspezifische MBS-Kode 50200-00 [Biopsy of bone not
elsewhere classified] wurde in der G-DRG Version 0.9 offensichtlich auf die
OPS-301-Kodes 1-503.- [Biopsie an Knochen durch Inzision] sämtlicher
Lokalisationen übertragen. Dies würde dazu führen, dass z. B. eine während
eines stationären Aufenthalts mit neurologischer Hauptdiagnose durchgeführte
Knochenbiopsie an der Großzehe in die Abrechnung einer der sehr hoch bewerteten
o. g. Kraniotomie-DRGs münden kann.
• einzelne OPS-301-Kodes Fallgruppen
zugeordnet wurden, obwohl diese Leistungen in der australischen Version nicht
zu finden sind
Beispiel: Den DRGs L06A und L06B für „Kleine
Eingriffe an der Harnblase“ wurde in der G-DRG Version 0.9 der OPS-301-Kode
8-020.1 [Therapeutische Injektion Harnorgane] zugeordnet, ohne dass diese Leistung
in der australischen Vorlage enthalten wäre. Die Folge wäre, dass schon die
Instillation eines Medikamentes über einen Blasenkatheter zur Abrechnung der im
Vergleich mit einer konservativen DRG höher bewerteten DRGs L06A und L06B
führen kann.
• und
die völlig unspezifischen OPS-301-Kodes [Prozedur, nicht näher bezeichnet],
welche keine Entsprechung im MBS besitzen, mit in die G-DRG-Zuordnung
übernommen wurden und OPS-301-Kodes für [Sonstige Prozeduren (näher
bezeichnet)] teilweise unscharf zugeordnet wurden.
Beispiel: Der DRG F20Z [Unterbindung und
Stripping von Venen] werden in der deutschen Version eine Reihe sonstiger bzw.
nicht näher bezeichneter Kodes zugeordnet (Naht von/Operativer Verschluss an
Blutgefäßen, OPS-Kodes:5-388.x -.y, 5-389.x,-.y). Diese unspezifischen Kodes
bilden sowohl Eingriffe an venösen als auch an arteriellen Gefäßen ab. In der
australischen Gruppierungslogik sind hier jedoch ausschließlich Verfahren an
venösen Gefäßen aufgelistet. In der deutschen DRG F20Z sind zusätzlich Nahtverfahren
an venösen Gefäßen aufgelistet, die nicht in der australischen
Gruppierungslogik enthalten sind. Dazu gehören Nähte an der V. pulmonalis, cava
superior, cava inferior und der oberflächlichen Venen.
Weil
die hier nur exemplarisch beschriebenen Modifikationen sich nicht auf
empirischer Datengrundlage, sondern „am grünen Tisch“ der beauftragten Firma
ergeben haben, entsteht jenseits der durch das Mapping ohnehin in Kauf zu
nehmenden Unschärfen in vielen Details eine Verfälschung der ursprünglichen DRG-Definitionen.
Diese führen unweigerlich zu ökonomisch relevanten Verzerrungen der
DRG-Kostengewichte mit der Folge entsprechender Fehlanreize in der
Abrechnungspraxis. Sofern die Kalkulationsdaten den Fallgruppen bei der
Ermittlung der Kostengewichte direkt entsprechend der G-DRG-Handbücher Version
0.9 zugeordnet werden, wird es kaum möglich sein, die sich aus einer
unterschiedlichen Qualität der Kostendaten ergebenden Inkonsistenzen von den
primär auf das Mapping zurück zu führenden Abweichungen zu unterscheiden.
Dieses wird eine sachgerechte Anpassung der AR-DRGs an die deutsche
Leistungswirklichkeit verzögern. Werden die in größerer Zahl vorhandenen
mapping-bedingten Inkonsistenzen erst nach der abrechnungswirksamen
DRG-Einführung behoben, werden die dadurch erhöhten Schwankungen der
DRG-Kostengewichte die jahresübergreifende Planung und Vergleiche der
Budgetentwicklung bei Krankenhäusern und Kostenträgern deutlich erschweren.
Auf
Grund der sich bei erster Prüfung abzeichnenden gravierenden Mängel lehnen
Bundesärztekammer und AWMF den Einsatz der unter erheblichem Zeitdruck,
intransparenten Bedingungen und offenbar ohne die erforderliche Validierung
entstandenen Version 0.9 der G-DRG-Handbücher als Grundlage eines
abrechnungswirksamen DRG-Optionsmodells ab. Bundesärztekammer und AWMF waren an
der Erstellung der Handbücher nicht beteiligt und weisen daher jede
Mitverantwortung für daraus resultierende Fehljustierungen des einzuführenden
DRG-Vergütungssystems von sich.
Zur
Fehlerbereinigung wird die vollständige Offenlegung der Mappingtabellen, die
Markierung und nachvollziehbar begründete Zuordnung kritischer Bereiche durch
Fachgruppen mit anschließender Validierung anhand repräsentativer Echtdaten
deutscher Krankenhäuser gefordert. Darüber hinaus müssen die in den
AR-DRG-Versionen 4.2 und 5.0 vorgenommenen Fehlerkorrekturen bei der Erstellung
der deutschen Übersetzung berücksichtigt werden. Die resultierende Rohfassung
des G-DRG-Fallpauschalen-Katalogs könnte dann im Jahr 2003 auf Simulationsbasis
verbindlich für alle Krankenhäuser eingesetzt werden.
Auch
hinsichtlich des Procedere bei der Kalkulation der DRG-Relativgewichte bestehen
größte Bedenken: Angesichts der auch hier erfolgten Fremdvergabe des
Kalkulationsauftrages und nicht transparenter Regeln bei der
Kostengewichtsfestlegung haben viele Krankenhäuser, darunter die Mehrheit der
Universitätskliniken die Einwilligung zur Weitergabe ihrer Kostendaten an einen
kommerziellen Auftragnehmer nicht gegeben. Es ist zweifelhaft, ob die zur
Auswertung gelangenden Kalkulationsdaten so noch als repräsentativ bezeichnet
werden können. Bei Fortführung der Arbeiten innerhalb gemeinsam getragener
Strukturen hätte die jetzt zusätzlich drohende Datenschieflage vermieden werden
können.
Ein
weiteres Problem des nun weitgehend am grünen Tisch entstehenden Optionsmodells
ist die unter anderem noch ungelöste Frage der DRG-externen Zusatzentgelte nach
§ 17 b Abs. 1 Satz 12 KHG und der „Sonstigen Entgelte“ nach § 6 Absatz 1
KHEntgG:Art und Umfang der aus den DRGs herauszunehmenden Leistungen sollten
eigentlich vor der Festlegung der DRGs und ihrer Relativgewichte bekannt sein.
Auch die dringend erforderliche Beantwortung der Frage, wie die im DRG-System
nur unzureichend abgebildeten Leistungsbereiche wie z. B. Intensivmedizin,
Onkologie und Transplantationsmedizin unter den ordnungspolitischen
Rahmenbedingungen des künftigen DRG-Vergütungssystems noch adäquat finanziert
werden können, wird durch ein solches Vorgehen unnötig verzögert. Somit ist zu
befürchten, dass sich das G-DRG-Optionsmodell 2003 in der tatsächlichen Praxis
weniger als Annäherung des als Basis gewählten australischen AR-DRG-Systems an
die deutsche Leistungswirklichkeit, sondern als dessen „Entstellung“ erweisen
wird. Dieses wird dem weiteren Fortgang der Einführung des neuen
Fallpauschalensystems insbesondere auf Grund der zu erwartenden negativen
präjudizierenden Wirkung einer mit deutlichen Mängeln behafteten
G-DRG-Erstfassung mehr schaden als nützen.
Ein
Vergütungssystem, das Krankenhauserlöse von jährlich bis zu 50 Milliarden Euro
verteilen soll und durch seine Anreize auch die angrenzenden
Versorgungsbereiche beeinflussen wird, muss unter für alle Beteiligten
rechtzeitig transparenten Bedingungen eingeführt werden. Auf der Seite der für
die Systemeinführung verantwortlichen Institutionen müssen klare
Zuständigkeiten, feste Ansprechpartner und handlungsfähige
Entscheidungsstrukturen bestehen. Vieles davon ist zwei Monate vor Ablauf der
Entscheidungsfrist der Krankenhäuser für den optionalen DRG-Eintritt ab 2003
noch nicht erkennbar.
Bundesärztekammer,
AWMF und Fachgesellschaften haben den Vertragsparteien der Selbstverwaltung
seit der gesetzlichen Vorgabe der Einführung eines DRG-Vergütungssystems mit
dem GKV-Gesundheitsreformgesetz 2000 vom 17.12.1999 wiederholt, aber leider
vergeblich eine enge und kontinuierliche Kooperation mit dem Ziel einer
sachgerechten Umsetzung der erforderlichen Anpassungsmaßnahmen angeboten.
Bundesärztekammer und AWMF erneuern und bekräftigen an dieser Stelle ihr
Angebot einer Zusammenarbeit mit Politik und Selbstverwaltung unter
realistischen Zeitvorgaben und innerhalb klarer Entscheidungsstrukturen. Sie
richten zu diesem Zweck eine Ständige Fachkommission für das
DRG-Vergütungssystem mit festen Ansprechpartnern für die betroffenen
Fachgebiete ein. Diese Fachkommission steht auch für eine weitere
Zusammenarbeit zur Verfügung.
Bundesärztekammer
und AWMF weisen darauf hin, dass ein Projekt von der Tragweite der
DRG-Einführung nur in Kooperation mit den maßgeblich Betroffenen zum Erfolg
führen kann.
Zusammenfassend
erneuern Bundesärztekammer und AWMF ihre mehrfach vorgetragene Forderung,
lieber auf die übereilte Einführung eines nur ungenügend übersetzten und auf
die Anwendung in Deutschland hin angepassten DRG-Systems zu verzichten, als mit
aller Gewalt ein die Umsetzung neuer Finanzierungsformen eher behinderndes denn
förderndes System durchsetzen zu wollen. Bundesärztekammer und AWMF halten es
für den falschen Ansatz und falschen Weg, die Leistungen der Krankenhäuser auf
der Basis eines nicht geprüften, nicht validen und noch dazu in sich
unstimmigen DRG-Systems zu vergüten. Eine besondere Gefahr sehen
Bundesärztekammer und AWMF in der Verstetigung der Fehlanreize, die mit dem
jetzt vorgelegten Entwurf gesetzt werden. Bundesärztekammer und AWMF sehen
weder medizinisch, noch technisch oder kalkulatorisch die Voraussetzungen für
eine verantwortungsbewusste Umsetzung des gesetzlich angestrebten
Optionsmodells 2003 erfüllt. Sie fordern daher nochmals, das G-DRG-System im
Jahr 2003 zunächst im Rahmen einer Simulation auf bundesdeutscher Datenbasis zu
validieren und die vorhandenen groben Fehler zu bereinigen. Ein
abrechnungsrelevanter Einsatz des neuen Vergütungssystems für
Krankenhausleistungen unter geschützten Bedingungen kommt erst dann in
Betracht, wenn ein ausreichend geprüfter und mit der Selbstverwaltung
konsentierter Entwurf des G-DRG-Systems vorliegt.
Die
Detailkritik an der Übertragung der AR-DRGs 4.1 in die G-DRG-Version 0.9 wurde
in einem Kommentar der DRG-Research Group der Universität Münster und der
Bundesärztekammer dargestellt (vgl. Kommentar zur Übersetzung der australischen
DRG Klassifikation 4.1 in die Deutsche Klassifikation G-DRG, Version 0.9,
http://drg.uni-muen-ster.de/de/downloads/literatur/kommentarv09.zip).
Die
Regelungen der Entwurffassungen der KFPV hat die Bundesärztekammer in einer
zugleich im Namen des Bundesverbandes der Belegärzte e.V. erfolgten
Stellungnahme zum Problem der in der Entwurffassung der G-DRG Version 1.0 in
vielen Leistungsbereichen für Belegabteilungen noch fehlenden
DRG-Fallpauschalen (siehe im Dokumentationsteil: BÄK-Schreiben an das BMGS vom
11. September 2002) sowie in ihrer ausführlichen „Stellungnahme zum 2.
Referentenentwurf einer KFPV vom 03.09.2002“ (siehe im Dokumentationsteil: Stellungnahme
der BÄK zum 2. Referentenenttwurf einer KFPV vom 03.09.2002) kritisiert, welche
zugleich im Namen des Verbandes der Leitenden Krankenhausärzte Deutschlands
e.V. sowie des Bundesverbandes der Belegärzte e.V. erging.
Trotz
aller Kritik, welche am 17. September 2002 Gegenstand einer außerordentlichen
Anhörung im Ministerium wurde und zur Verschiebung der ursprünglich noch vor
der Bundestagswahl am 22. September 2002 geplanten Bekanntgabe der KFPV führte,
hat das Ministerium die umstrittene Rechtsverordnung am 26. September 2002 dann
aber in Kraft gesetzt (Verordnung zum Fallpauschalensystem für Krankenhäuser
vom 19. September 2002 (KFPV),Bundesgesetzblatt Jahrgang 2002 Teil I Nr. 68,S.
3674-3726,ausgegeben am 25. September 2002) (siehe im Dokumentationsteil:
BÄK-Pressemitteilung vom12. September 2002).
|