Der 104.
Deutsche Ärztetag 2001 in Ludwigshafen befasste sich eingehend mit dem in den
letzten Jahren innerhalb der Ärzteschaft zunehmend beklagten Problem der
Ausbeutung der Arbeitskraft insbesondere junger Ärztinnen und Ärzte und deren
immer unerträglicher werdenden Belastungen. Unter dem Motto „Genug gejammert,
ab sofort wird auf allen Ebenen Druck gemacht!“ behandelte der Ärztetag in
einer eingehenden und leidenschaftlichen Debatte dieses berufspolitisch so
brisante Thema. In beeindruckenden Referaten schilderten Dr. med. Klaudia Röhl,
Assistenzärztin aus Kiel/Berlin und Dr. med. Wolfgang Priesack, Oberarzt aus
Kiel, die aus der unsäglichen Überlastung der Krankenhausärztinnen und-ärzte resultierenden, nicht mehr länger
erträglichen Missstände in den deutschen Krankenhäusern. In seinem Hauptreferat
forderte der damalige Vorsitzende der Krankenhausgremien der Bundesärztekammer,
Dr. med. Frank Ulrich Montgomery, alle betroffenen Ärztinnen und Ärzte auf,
Überstunden exakt zu dokumentieren, Missstände öffentlich zu machen und
innerhalb der Ärzteschaft solidarisch aufzutreten. Ausgebeuteten Ärztinnen und
Ärzten muss Mut gemacht werden sich zusammenzuschließen und ihre Rechte
durchzusetzen. Ziel der von dieser Ärztetagsdebatte ausgehenden Initiativen
muss es sein, gemeinsam die Gegenwehr zu organisieren und nicht länger dem
Druck von oben nach unten weiterzureichen. In einem eindringlichen
Schlussappell rief Dr. Priesack den Delegiertinnen und Delegierten des
Deutschen Ärztetages zu: „Erst wenn sich die deutsche Ärzteschaft geschlossen
vom Arzt im Praktikum über Assistenzarzt, Oberarzt und Chefarzt bis zum
niedergelassenen Kollegen darauf besinnt, selbstbewusst dafür zu streiten, dass
unter fairen Arbeitsbedingungen mit angemessener Vergütung eine qualitativ
hochwertige Patientenversorgung sichergestellt werden kann, erst dann werden
junge Ärztinnen und Ärzte wieder mit Begeisterung und hoher Einsatzfreude ihre
schöne, aber auch anspruchsvolle Tätigkeit ausüben.“
Nahezu
einstimmig fasste am Ende dieser sowohl die ärztliche als auch die gesamte
Öffentlichkeit aufrüttelnden Debatte der Ärztetag auf Antrag des Vorstandes der
Bundesärztekammer eine auch noch weit nach dem Ärztetag in Politik und
Öffentlichkeit vielbeachtete Entschließung, welche im Tätigkeitsbericht
2001/2002 abgedruckt ist.
Als
damaliges Fazit der zu diesem Tagesordnungspunkt geführten Debatte und der
hierzu verabschiedeten Entschließung bleibt es zukünftig Aufgabe der verfassten
Ärzteschaft, die aus der Ausbeutung junger Ärztinnen und Ärzte resultierenden
unhaltbaren Zustände auf vier Ebenen zu bekämpfen:
– Politisch: Der Gesetzgeber wird aufgefordert, das
Arbeitszeitgesetz zu ändern sowie die Arbeitsleistung für den
Dokumentationsaufwand und den Mehrbedarf aus dem EuGH-Urteil in die
DRG-basierten Fallpauschalen und in die Budgets, solange es diese noch gibt,
einzukalkulieren;
– Kollektiv: Die Ärzteschaft darf das Gesetz über
befristete Arbeitsverträge mit Ärzten in der Weiterbildung nicht missbrauchen,
sie muss die Arbeitszeitdokumentation durchsetzen sowie Missstände öffentlich
machen und ärztliche Solidarität herstellen;
– Auf der Ebene der Körperschaften: Die
Selbstverwaltung wird aufgefordert, eine „niedrigschwellige“ Beratung für
ausgebeutete Ärztinnen und Ärzte anzubieten; alle Ärztekammern sollen hierfür
einen Ombudsmann bestimmen;
– Auf der Ebene jedes Einzelnen: Alle Ärztinnen und Ärzte
sollen sich der hier bestehenden Probleme annehmen, sich solidarisieren und den
Ausgebeuteten den Mut geben, sich zusammenzuschließen und ihre Rechte
durchzusetzen.
Bei der
Beratung dieser Thematik appellierte der 104. Deutsche Ärztetag 2001 somit an
die Ärztekammern, eine Ombudsfrau oder einen Ombudsmann zu benennen, welche(r)
in den einzelnen Kammerbereichen die Funktion als Berater/in für die
betroffenen Ärzte übernimmt. Die Benennung einer solchen Vertrauensperson, an
die sich Betroffene jederzeit wenden können, soll ein erster wesentlicher
Schritt sein, um ratsuchenden Ärztinnen und Ärzten praktische Hilfestellung und
moralische Unterstützung zu geben. Gleichzeitig wurden die Ärztekammern gebeten,
dem nächsten Deutschen Ärztetag über Ergebnisse und Erfahrungen in Zusammenhang
mit der Arbeit dieser Ombudspersonen zu berichten. Auch der 105. Deutsche
Ärztetag in Rostock wünschte für das Jahr 2002 eine Berichterstattung.
Die
vorliegenden Berichte zeigen, dass im Gegensatz zum letzten Jahr, in dem
zunächst nur neun Ärztekammern eine Ombudsstelle eingerichtet hatten,
inzwischen die Ombudsstellen aller 17 Ärztekammern ihre Tätigkeit aufgenommen
haben. Die Beratungskonzepte sind im Einzelfall durchaus unterschiedlich
ausgestaltet. Entweder befasst sich der Präsident selbst mit den Anliegen der
Kammermitglieder oder der Geschäftsführer oder gar eine Gruppe wie der
Vorstand, Ausschüsse, separat ernannte Persönlichkeiten oder Arbeitsgruppen.
Da viele
Ärztekammern erst seit kurzer Zeit Ombudsstellen eingerichtet haben, können sie
noch nicht systematisch über Erfahrungen berichten. Es fällt auf, dass das
Hilfsangebot von den Betroffenen je nach Kammer sehr unterschiedlich genutzt
wird. Möglicherweise liegt die in einigen Kammern beobachtete geringe
Inanspruchnahme in einem geringen Bekanntheitsgrad dieser Ombudsstelle
begründet. Im Hinblick auf die Erfahrungsberichte, die aktuell vorliegen, zeigt
sich deutlich, dass die meisten der Eingaben Fragen und Probleme im
Zusammenhang mit der Arbeitszeit betreffen. So wurde eine erhebliche Zahl von
Überstunden und zusätzlichen Diensten, die Folgen personeller Unterbesetzung
sowie Zeitarbeitsverträge beklagt. Hinzu kamen nicht wenige Fälle von Mobbing
und interkollegiale Streitigkeiten.
Die Rolle
der Ombudsperson erfordert viel Einfühlungsvermögen und Verhandlungsgeschick.
Als Interventionsvorgehensweisen werden direkte Kontaktaufnahmen der
Vertrauensperson mit Krankenhausverwaltungsleitern, Geschäftsführern und
Chefärzten genannt. Eine Ärztekammer berichtet, dass aus dem Kreise der
beratenden Ärzte Personen als Interviewpartner für Print-
und audiovisuelle Medien benannt wurden, um gegen Ausbeutung auch in den Medien
vorzugehen. Zwischenzeitlich ist diese Problematik auch in das öffentliche
Bewusstsein getreten. Darüber hinaus wurden Erfahrungen und konkrete Fälle
anonym aufgelistet und den zuständigen Aufsichtsbehörden sowie den Sozial- und
Wirtschaftsministerien zur Kenntnis gegeben. Als Folge dieser Zusammenarbeit wurde
in einem Bundesland eine Verordnung erlassen, die unbezahlte oder unterbezahlte
„Gastarzt/Stipendiaten-Tätigkeit“ als unzulässig erklärt. Diese ersten
Erfahrungsberichte zeigen, dass Ombudsstellen in den Ärztekammern eine wichtige
Funktion im Sinne einer Anlaufstelle für Hilfe suchende Ärztinnen und Ärzte
darstellen.
Vor
dem Hintergrund eines an den Vorstand der Bundesärztekammer überwiesenen
Beschlussantrages „Einrichtung von Arbeitskreisen für junge Ärztinnen und
Ärzte“ des 105. Deutschen Ärztetages 2002 in Rostock haben zwischenzeitlich
eine Reihe von Landesärztekammern entsprechende Arbeitskreise bzw.
Arbeitsgruppen mit dieser thematischen Ausrichtung eingerichtet. Dies sind im
einzelnen die Sächsische Landesärztekammer, die Ärztekammer Bremen und die
Ärztekammer Berlin. In den Tätigkeitsberichten dieser Ärztekammern ist über
bisher erzielte Ergebnisse dieser Arbeitskreise berichtet worden. Bei den
anderen Ärztekammern sind zwar keine förmliche Arbeitskreise bzw.
Arbeitsgruppen „Junge Ärztinnen und Ärzte“ errichtet worden, jedoch nehmen sich
gemäß Beschlüssen der jeweiligen Kammervorstände bereits bestehende Ausschüsse
und Fachgremien der mit dieser Thematik verbundenen Probleme in besonderem Maße
an.
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