Die
derzeitige Struktur der Krankenhäuser und insbesondere ihrer ärztlichen Dienste
wird dem heutigen Stand der Medizin und der damit verbundenen Differenzierung
in zahlreiche Spezialitäten vielfach nicht mehr gerecht. Die Deutschen
Ärztetage haben schon seit Beginn der siebziger Jahre immer wieder auf die sich
hieraus ergebende Notwendigkeit der Reform überkommener Krankenhausstrukturen
hingewiesen. Ein beredtes Zeugnis hierfür sind die bereits vom 75. Deutschen
Ärztetag 1972 beschlossenen „Westerländer Leitsätze“, die vom 80. Deutschen
Ärztetag 1977 verabschiedeten „Thesen zur Reform der Struktur der Krankenhäuser
und ihres ärztlichen Dienstes sowie über die Zusammenarbeit zwischen Ärzten in
freier Praxis und im Krankenhaus“ sowie das diese Positionen
weiterentwickelnde, zuletzt vom 97. Deutschen Ärztetag 1994 in Köln
verabschiedete „Gesundheitspolitische Programm der deutschen Ärzteschaft“.
Die
Möglichkeiten bestmöglicher Diagnostik und Therapie, die sich durch den
medizinischen und medizinisch-technischen Fortschritt ständig verbessern, erfordern
eine dem quantitativ vergrößerten und qualitativ veränderten Arbeitsanfall
entsprechende größere Zahl qualifizierter Ärzte mit speziellen Fachkenntnissen
und Erfahrungen. Bei Disziplinen mit hohem technischem und apparativem Aufwand
ist eine zunehmende Konzentration vieler ärztlicher Verrichtungen dort zu
verzeichnen, wo neue Methoden entwickelt und in die ärztliche Versorgung
eingeführt werden. Schon heute arbeitet so der weitaus überwiegende Teil vieler
Spezialisten nicht mehr in freier Praxis, sondern in den Krankenhäusern.
Dennoch finden viele Ärztinnen und Ärzte dort keine auf Dauer befriedigenden
Arbeitsmöglichkeiten, so dass sie dann in ihrer Tätigkeit im Krankenhaus keine
Lebensaufgabe sehen können. An Schärfe und Brisanz erheblich zugenommen hat
diese Entwicklung durch das Gesundheitsstrukturgesetz von 1993 mit seinen
Auswirkungen der Zulassungsbeschränkungen für die vertragsärztliche Tätigkeit
und der Öffnung der Krankenhäuser für prästationäre Diagnostik und
poststationäre Therapie sowie des ambulanten Operierens.
Angesichts
solcher Entwicklungen muss es unverständlich bleiben, dass die Leitlinien und
Strukturvorstellungen der deutschen Ärzteschaft, welche auch Erfahrungen aus
weiteren europäischen Ländern und den USA einbeziehen, in keine der seit 1977
erfolgten „Reformen“ im Krankenhausbereich Eingang gefunden haben. Selbst als
mögliche Modellversuche sind sie in der Krankenhauspraxis nicht oder nur völlig
unzureichend aufgegriffen worden. Möglichkeiten zur Verwirklichung dieser
Vorschläge für Strukturreformen waren und sind jedoch auch unabhängig von
Gesetzesänderungen überall dort gegeben, aber eben auch zu selten genutzt
worden, wo erforderliche Gestaltungsspielräume durch das Ausscheiden leitender
Krankenhausärzte oder die Neueinrichtung von Abteilungen eröffnet werden.
Abweichungen von den Modellvorstellungen der Ärzteschaft sind je nach der
Situation des einzelnen Krankenhauses vielfach nicht nur möglich, sondern
durchaus notwendig.
Der
Förderung und dem weiteren Ausbau des Belegarztwesens insbesondere in seiner
kooperativen Ausprägung kommt bei den Reformvorstellungen der Bundesärztekammer
zur Weiterentwicklung der Organisationsstruktur des ärztlichen Dienstes der
Krankenhäuser ein herausgehobener Stellenwert zu. Gemeinsam mit der Deutschen
Krankenhausgesellschaft und der Kassenärztlichen Bundesvereinigung hat die
Bundesärztekammer erstmals bereits 1985 für die konkrete Vertragsgestaltung vor
Ort zwischen Belegärzten und Krankenhaus-trägern ein Vertragsmuster erarbeitet,
welches den vertragsschließenden Parteien sowohl für das Einzelbelegarztsystem
wie auch für das kooperative Belegarztsystem eine Hilfestellung sein soll. Vor
allem das Vertragsmuster für das kooperative Belegarztwesen ist nach seiner
Erstveröffentlichung auf eine Vielzahl von Anfragen hieran interessierter Ärzte
gestoßen. So ist Ende 1996 die Beratungs- und Formulierungshilfe
„Belegarztvertrag/Kooperativer Belegarztvertrag“ bereits in der 3. geänderten
Auflage erschienen. Eine weitere Aktualisierung des Vertragsmusters steht
voraussichtlich für das Jahr 2003 an.
Vor allem
im Hinblick auf eine stärkere Verzahnung zwischen dem ambulanten und dem
stationären Versorgungsbereich erlangt das kooperative Belegarztwesen eine
besondere Bedeutung. Die Ärzteschaft hat immer wieder hervorgehoben, dass für
weitere Überlegungen zur strukturellen Verbindung beider Bereiche das
Schwergewicht auf die personale Verknüpfung – und eben nicht auf die
institutionelle Verbindung – gelegt werden muss. Hierfür ist eine Stärkung des
Belegarztwesens insbesondere in seiner kooperativen Form für den Bereich der
stationären Grund- und Regelversorgung
der geeignete Ansatzpunkt.
Eine
vom Vorstand der Deutschen Krankenhausgesellschaft Ende 1996 verabschiedete und
einseitig herausgegebene 5. geänderte Auflage der „Beratungs- und
Formulierungshilfe für die Erstellung eines Dienstvertrages sowie eines
Nutzungsvertrages mit einem leitenden Abteilungsarzt (Chefarzt)“ stieß – wie
auch schon die vorherigen Auflagen – auf entschiedene Ablehnung der
Bundesärztekammer. Sie musste vor allem der in dieser Auflage nunmehr als
Regelfall vorgesehenen Beteiligungsvergütung des Chefarztes an den dem
Krankenhausträger aus einem ihm eingeräumten Liquidationsrecht zukommenden
Liquidationseinnahmen nachdrücklich widersprechen. Das dem Arzt selbst und
unmittelbar eingeräumte Liquidationsrecht ist nunmehr nur noch als „Fußnoten“-
Alternative vorgesehen. Abgelehnt wurde auch die Aufnahme einer Bonus-Regelung
zur Einbeziehung des Arztes in die wirtschaftliche Verantwortung für seine
Abteilung. Ein derartiges „Tantiemenmodell“ ist aus Sicht der Bundesärztekammer
aus medizinisch-ethischen Gründen nicht akzeptabel, da hierin angelegte
ökonomische Überlegungen und Anreize Gefahr laufen, ärztliches Handeln und
ärztliche Entscheidungsfreiheit zu beeinträchtigen. Eine weitere, ebenso
einseitig und ohne Abstimmung mit der Bundesärztekammer vom Vorstand der
Deutschen Krankenhausgesellschaft Anfang Februar 2002 verabschiedete
Fortentwicklung und 6. Neuauflage des Chefarzt-Vertragsmusters verschärfte gar
noch wesentliche Vertragsbestandteile in einer für die Bundesärztekammer völlig
unakzeptablen Weise. Die schon in der Vorauflage zur erheblichen Kritik Anlass
gebenden Neuregelungen, wie insbesondere
– Einräumung des Liquidationsrechtes für wahlärztliche
Leistungen nur noch als untergeordnete Alternative zur im Vordergrund stehenden
Beteiligung der Chefärztinnen und Chefärzte an den Liquidationserlösen des
Krankenhausträgers (Beteiligungsvergütung),
– Ausgestaltung eines die ärztliche
Entscheidungsfreiheit und Unabhängigkeit gefährdenden Bonussystems (variable
Gehaltsboni in Abhängigkeit von der Einhaltung eines Abteilungsbudgets),
– Überbetonung der wirtschaftlichen Verantwortung des
Chefarztes für seine Abteilung ohne ausreichenden Einbezug in die
Entscheidungsprozesse durch den Krankenhausträger,
sind in der nunmehrigen
Neuauflage durch zusätzliche, für die Ärzteschaft nicht tragbare
Vertragsbestimmungen, wie
– Abkehr von medizinischen Prioritäten hin zu
ökonomischen Vorgaben sowie zu starke Gewichtung der Weisungsgebundenheit,
– Abschaffung des Liquidationsrechtes für wahlärztliche
Behandlung,
– vollständige Integrierung bisher klassischer
Nebentätigkeitsbereiche in den Dienstaufgabenkatalog (z.B. Entfall des
ambulanten Privatliquidationsrechtes, persönliche Ermächtigung gemäß § 116 SGB
V, D-Arzt-Verfahren der gesetzlichen Unfallversicherungsträger),
– vollständige Eliminierung jeglicher bisheriger
öffentlich-rechtlicher Bezüge durch Bezugnahme auf den Bundesangestellten-Tarif
(BAT) und weitere öffentlich-rechtliche Regelungen (zusätzliche Alters- und
Hinterbliebenenversorgung), erweitert worden.
Dieses
Vertragsmuster wird in nicht akzeptabler Weise geprägt durch eine ökonomische
Dominanz, die die medizinischen Notwendigkeiten ärztlichen Handelns in den
Hintergrund treten lässt. Diese ökonomische Priorisierung und der damit
einhergehende Paradigmenwechsel finden ihren Niederschlag in zahlreichen
Einzelbestimmungen dieses Vertragsmusters. Die Anerkennung auch ökonomischer
Erfordernisse darf jedoch nicht dazu führen, dass die ärztliche Arbeit im
Krankenhaus zu vorrangig wirtschaftlich geprägter Tätigkeit wird.
Mit der
durch diese Neuregelungen bewirkten Überregulierung der Pflichten von
Chefärztinnen und Chefärzten sowie der erkennbaren Aushöhlung jeglichen
freiberuflichen Elementes chefärztlicher Tätigkeit verlässt die Deutsche
Krankenhausgesellschaft seit Jahrzehnten bewährte sowie für die Entwicklung der
Medizin und eine qualitativ hochstehende stationäre ärztliche Versorgung der
Patienten in den Krankenhäusern unabdingbare Grundlagen. Insbesondere mit der
Eliminierung des Liquidationsrechtes als Vergütungsinstrument des Chefarztes im
stationären Bereich gibt die Deutsche Krankenhausgesellschaft ein bisher
prägendes Element der Gestaltung von Chefarzt-Verträgen auf.
Gängelei
durch Überregulierung in Verträgen und damit bewirkte Demotivation der
Chefärzte als der letztlich den Ruf und die Wettbewerbsposition eines
Krankenhauses maßgeblich prägenden Leistungsträger werden gerade nicht das von
den Krankenhausträgern bei den Chefärzten immer wieder eingeforderte
unternehmerische Denken und Handeln fördern. Gerade im Hinblick auf die
bevorstehende Einführung des DRG-Fallpauschalensystems und das dafür verstärkt
erforderliche hohe Engagement leitender Krankenhausärzte sind
perfektionistische Reglementierung der ärztlichen Tätigkeit und autoritäre
Vorgabe von Zielvereinbarungen durch ärztlich nicht beeinflussbare
Bemessungskriterien nicht geeignet, Leistungsbereitschaft und
Leistungsmotivation der Chefärzte zu fördern.
Mit
einer richtungsweisenden Entschließung unternahm der 101. Deutsche Ärztetag
1998 in Köln einen erneuten Vorstoß zur Realisierung der bereits von früheren
Ärztetagen immer wieder in die Diskussion eingebrachten Vorstellungen der
deutschen Ärzteschaft zur Strukturreform des ärztlichen Dienstes im
Krankenhaus. In Vorbereitung hierfür empfahlen Ausschuss und Ständige Konferenz
„Krankenhaus“ der Bundesärztekammer, zur Förderung und praktischen Realisierung
dieser bereits seit langem vorliegenden Vorschläge ein auf die heutige
Problemsituation ausgerichtetes Konzept zu erstellen. Unter der Federführung
des damaligen Präsidenten und jetzigen Ehrenpräsidenten der Bundesärztekammer,
Prof. Dr.Dr. h.c. Karsten Vilmar, hat sodann
eine aus Mitgliedern der Krankenhausgremien bestehende Arbeitsgruppe ein
Positionspapier „Strukturreform des ärztlichen Dienstes im Krankenhaus –
Kooperatives ärztliches Management“ erarbeitet, welches vom Vorstand der
Bundesärztekammer im Frühjahr 1999 einstimmig verabschiedet wurde. Mit
überwältigender Mehrheit verabschiedete daraufhin auch der 102. Deutsche
Ärztetag 1999 in Cottbus im Rahmen einer Entschließung dieses Positionspapier
und forderte öffentlich die Verantwortlichen in Politik und Selbstverwaltung
dazu auf, mit der Ärzteschaft in einen konstruktiven Dialog über diese für die
weitere Entwicklung einer qualitativ hochstehenden ärztlichen Versorgung in den
Krankenhäusern wesentlichen Reformvorschläge einzutreten. Die Entschließung des
Deutschen Ärztetages bzw. das Positionspapier ist im Tätigkeitsbericht
1999/2000 abgedruckt worden.
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