Beratungen
der Ärzte deutschsprachiger Länder
Seit 1952 treffen sich die Vertreter der ärztlichen Berufsorganisationen
Österreichs, der Schweiz, Liechtensteins, Südtirols, Luxemburgs
und Deutschlands einmal jährlich zum Meinungs- und Erfahrungsaustausch.
Ziel ist die wechselseitige Information über die neuesten Entwicklungen
der Sozial-, Gesundheits- und Berufspolitik in den einzelnen Ländern.
Die 48. Konsultativtagung deutschsprachiger Ärzteorganisationen
fand auf Einladung der luxemburgischen Ärztevereinigung in
Luxemburg statt. Teilnehmende Länder waren Österreich,
Luxemburg, die Schweiz, Südtirol und Deutschland.
Physicians Profiling
In einem Gastvortag stellte der Präsident der Luxemburgischen
Krankenkassenvereinigung, Robert Kieffer, die Leistungsbeobachtung
der luxemburgischen Ärzte durch die Krankenversicherung vor.
Aufgrund einer Analyse der Arzt- und Patientendaten für den
Zeitraum 1995 - 2000, die der luxemburgischen Krankenversicherung
vollständig vorliegen, vertrat er die These einer angebotsinduzierten
Nachfragesteigerung auf Grund einer Erhöhung der Arztzahlen.
Zwar konnte er eine vordergründige Korrelation zwischen Arztzahl
und Leistungsdichte darstellen, blieb aber einen Beleg für
den ursächlichen
Zusammenhang schuldig. Dagegen spricht auch die Beobachtung, dass
die Arzthonorare im Verhältnis zu den gesamten Gesundheitsausgaben
nicht gestiegen sind. Auch andere Faktoren, wie zum Beispiel ein
erhöhter Bedarf an medizinischen Leistungen oder demografischen
Veränderungen konnte Herr Kieffer als Ursache für eine
erhöhte Leistungsdichte nicht ausschließen.
Österreichische Ambulanzen in Konkurrenz zu niedergelassenen
Ärzten
Ambulante ärztliche Versorgung wird in Österreich in der
niedergelassenen Praxis (Vertragsarzt und Wahlarzt), in Ambulanzvorrichtungen
der Krankenkassen, in privaten Ambulatorien und in Ambulanzen der
Krankenhäuser angeboten. Vor allem die letzt genannten (5,4
Mio. Fälle pro Jahr) konkurrieren mit den Ärzten in den
niedergelassenen Vertragsarztpraxen (30 Mio. Fälle pro Jahr).
Den Patienten stehen diese Einrichtungen direkt und ohne Überweisung
offen.
Die Krankenhausambulanzen werden z.T. steuerfinanziert, z.T. über
die Krankenkasse finanziert, anders als im niedergelassenen Bereich,
der ausschließlich über die Honorare der Krankenkassen
und die niedergelassenen Ärzte finanziert wird. Da die Nutzung
der Krankenhausambulanz teurer ist als die Inanspruchnahme der niedergelassenen
Ärzte, wurde versucht, die Zahl der Amublanzbesuche durch eine
Gebühr, die von dem Patienten zu entrichten ist, (10,90 Euro
mit Überweisung, 18,17 Euro ohne) einzudämmen. Immerhin
schätzt die Regierung, dass ein Drittel der Ambulanzbesuche
am Krankenhaus überflüssig ist. Doch die Erziehungsmaßnahme
zeigt bis heute noch keinen Erfolg - die Strukturen scheinen fest
etabliert zu sein: Zum einen wissen die Patienten, ohne sich erkundigen
zu müssen, dass gerade zu Feierabend- und Wochenendzeiten die
Ambulanzen der Krankenhäuser offen sind. Andererseits schicken
auch gerne die Hausärzte ihre Patienten in die Krankenhäuser,
da sie dort weniger Konkurrenz durch eine fachärztliche Betreuung
vermuten und drittens sehen die Krankenhäuser in den ambulanten
Patienten auch immer potentielle „Kunden“ für einen
stationären Aufenthalt. So ist die Bereitstellung einer Ambulanz
für die österreichischen Krankenhäuser auch eine
Prestigesache, da eine Behandlung keine negativen finanziellen Auswirkungen
für das Krankenhaus hat.
Ärzterichtlinie der Europäischen Union
Der Leiter der gemeinsamen Rechtsabteilung von Bundesärztekammer
und Kassenärztlicher Bundesvereinigung, Herr RA Schirmer, stellte
den neuen Kommissionsvorschlag für die Richtlinie zur Anerkennung
von Berufsqualifikationen vor. (Der Vorschlag und die Reaktion der
Bundesärztekammer wird im Kapitel „Ständiger Ausschuss
der Europäischen Ärzte (CPME)“ und „Brüsseler
Büro“ eingehend beschrieben.) Da dieser Vorschlag die
seit über 25 Jahren bestehende, weitgehend automatische Anerkennung
von ärztlichen Diplomen bedeuten würde, wurde sie von
den teilnehmenden ärztlichen Organisationen einhellig abgelehnt.
Telematik in der Medizin
Der Einfluss Telematik (e-health) auf die Patienten/Arzt-Beziehung
wurde in zwei Vorträgen von Dr. Denz (Schweiz) und Dr. Kloiber
(BÄK) analysiert. Neue Kommunikationsmöglichkeiten eröffnen
neue Möglichkeiten für die Gestaltung des Patienten/Arzt-Verhältnisses:
Telematik-Dienste können sowohl vor einem Kontakt mit dem Arzt
(Hilfe beim Finden des Arztes), bei der Kontaktaufnahme (Soll ein
initialer
Behandlungskontakt zwischen Arzte und Patient in Zukunft gestattet
sein?) als auch während der Behandlung (Behandlungsunterstützung,
case management, Selbstkontrolle und Behandlung) in der Kommunikation
zwischen Patient und Arzt eingesetzt werden. Den neuen Möglichkeiten
stehen aber Gefahren gegenüber, wobei das vordringlichste Problem
gegenwärtig die geringe Sicherheit des Internets darstellt.
Bei einem anschließenden Besuch im Hauptquartier des europäischen
Satellitenbetreibers SES in Luxemburg, (z. B. Astra) wurden von
Seiten der Industrie telemedizinische Projekte mit Satelliten gestützter
Kommunikation vorgestellt.
Länderberichte
Luxemburg: Vordringliches Thema ist der Ärztemangel,
denn der Beruf hat auch in Luxemburg an Attraktivität verloren.
Gemeinsam mit der Regierung sucht die Ärztevereinigung nach
Lösungen. Im Vordergrund stehen hierbei die Neuregelung der
Bereitschaftsdienste und die sehr hohen Ansprüche der Patienten
an die Verfügbarkeit der Ärzte.
Insgesamt geht es dem luxemburgischen Gesundheitswesen wirtschaftlich
gut. Die Krankenkassen erwirtschaften weiterhin Überschüsse
und politische Diskussionen werden vor allem darüber geführt,
wie diese Überschüsse zwischen den Leistungserbringern
verteilt
werden.
Österreich: Schon seit 2 Jahren leidet Österreich
unter einer Finanzierungskrise. Die Sozialversicherungen schreiben
rote Zahlen, doch eine politische Bereitschaft die Beitragssätze
zu erhöhen, gibt es nicht.
Insgesamt sprach der Präsident der Ärztekammer, Dr. Pjeta,
von einer „orientierungslosen“ Gesundheitspolitik in
Österreich. Halbherzig wurde die Ambulanzgebühr eingeführt
und über Nacht wurde eine Chipkarte beschlossen, über
die bei jedem Arztbesuch direkt verrechnet werden soll.
Schweiz: Nach über zehnjähriger Vorbereitungszeit
ist die neue Tarifstruktur TARMED durch ein Urabstimmung durch die
schweizer Ärzte angenommen worden. Bei 54%iger Beteiligung
stimmten 63% der Ärzte für den neuen Tarifrahmen. Für
die Ärzteschaft ist die TARMED eine große Herausforderung.
Der erste, auf betriebswirtschaftlichen Kalkulationen beruhende
Tarif wird auch zu Einkommensverschiebungen zwischen den Ärzten
führen, da viele ärztliche Tätigkeiten neu bewertet
werden. Die TARMED soll im Januar 2004 eingeführt werden.
Die Forderung der Krankenkassen und einiger Politiker zur Abschaffung
des Kontrahierungszwangs konnte zunächst abgewehrt werden.
Im Vertrag zur TARMED wurde eine Klausel eingebaut, durch den bei
einer künftigen Aufhebung des Kontrahierungszwanges die TARMED
seine Gültigkeit verliert.
Eine aktuell große Herausforderung ist das Inkrafttreten der
bilateralen Verträge zwischen der Schweiz und der Europäischen
Union und damit verbunden die Möglichkeit der Niederlassung
von EU-Bürgern in der Schweiz und umgekehrt. Bisher waren schon
insgesamt 3000 EU-Bürger als Ärzte in der Schweiz tätig,
die auch dringend benötigt werden. Sie hatten bisher aber kein
Recht auf eine Niederlassung in der Schweiz. Nach dem Abschluss
der bilateralen Verträge wurden zunächst von 600 ausländischen
Ärzten, die alle schon lange in der Schweiz leben, Anträge
auf Niederlassung gestellt. Kurz nach dem Inkrafttreten der Verträge
wurde ein genereller Zulassungsstop angekündigt und zum 3.
Juli 2002 in Kraft gesetzt. Dies hat zu einer Panik unter den Ärzten
geführt und die Zulassungsanträge bis zum 3. Juli auf
2000 ansteigen lassen. Die Folge sind ein Wegbruch von vielen Ärzten
aus den Krankenhäusern und der Verlust der Perspektive gerade
für den Nachwuchs. Dr. Denz kritisierte den Aktionismus seiner
Regierung, da diese Maßnahme gerade mit Hinblick auf den latenten
Ärztemangel in der Schweiz nicht verständlich sei.
Südtirol: In Italien wurden die politischen
Strukturen föderalisiert. In der Gesundheitspolitik bedeutet
dies eine größere Autonomie für die Provinzen.
Auch in Südtirol werden zwar die Mittel für die Gesundheitsausgaben
knapper, sie sind jedoch immer noch die höchsten Pro-Kopf-Ausgaben
in Italien.
Angelehnt an den österreichischen Bericht beschrieb Dr. Widmann
das Problem, dass auch die Südtiroler stärker als notwendig
die Krankenhausambulanzen direkt aufsuchen. Um hier und in anderen
Fällen Missbrauch einzudämmen, sind auch in Südtirol
Maßnahmen zur Selbstbeteiligung bei Notdienst, stationärer
Behandlung, Arzneimitteln, Flugrettung und Rettungsdienst beschlossen
worden.
Deutschland: Über die gesundheitspolitische
Entwicklungen des letzten Jahres und über den Ausblick auf
die Wahl im September berichtete der Präsident der Bundesärztekammer,
Prof. Dr. Dr. h.c. Hoppe. Er resümierte zunächst die Auswirkungen
der Gesundheitsreform 2000, die vor allem zu einer sektoriellen
Budgetierung geführt hat. Die Gleichung „Budgetierung
führt zur Rationierung“ bestätige sich immer mehr.
Aktuelles Thema war die Einführung der Disease Mangagement
Programme (DMP) zur Regelung des Risikostrukturausgleichs. Ergänzt
wurde die Darstellung durch Dr. Oesingmann, dem Präsidenten
des Bundesverbandes der Freien Berufe und ehemaligen Vorsitzenden
der Kassenärztlichen Bundesvereinigung. Dr. Oesingmann berichtete
über neue Vertrags- und Versorgungsformen in der ambulanten
Versorgung, in denen vor allem auch die DMPs als medizinisches und
nicht als ökonomisches Instrument eingesetzt werden könnten. |