48. Konsultativtagung
11. Juli bis 13. Juli 2002 in Luxemburg

Beratungen der Ärzte deutschsprachiger Länder

Seit 1952 treffen sich die Vertreter der ärztlichen Berufsorganisationen Österreichs, der Schweiz, Liechtensteins, Südtirols, Luxemburgs und Deutschlands einmal jährlich zum Meinungs- und Erfahrungsaustausch. Ziel ist die wechselseitige Information über die neuesten Entwicklungen der Sozial-, Gesundheits- und Berufspolitik in den einzelnen Ländern. Die 48. Konsultativtagung deutschsprachiger Ärzteorganisationen fand auf Einladung der luxemburgischen Ärztevereinigung in Luxemburg statt. Teilnehmende Länder waren Österreich, Luxemburg, die Schweiz, Südtirol und Deutschland.


Physicians Profiling


In einem Gastvortag stellte der Präsident der Luxemburgischen Krankenkassenvereinigung, Robert Kieffer, die Leistungsbeobachtung der luxemburgischen Ärzte durch die Krankenversicherung vor. Aufgrund einer Analyse der Arzt- und Patientendaten für den Zeitraum 1995 - 2000, die der luxemburgischen Krankenversicherung vollständig vorliegen, vertrat er die These einer angebotsinduzierten Nachfragesteigerung auf Grund einer Erhöhung der Arztzahlen. Zwar konnte er eine vordergründige Korrelation zwischen Arztzahl und Leistungsdichte darstellen, blieb aber einen Beleg für den ursächlichen
Zusammenhang schuldig. Dagegen spricht auch die Beobachtung, dass die Arzthonorare im Verhältnis zu den gesamten Gesundheitsausgaben nicht gestiegen sind. Auch andere Faktoren, wie zum Beispiel ein erhöhter Bedarf an medizinischen Leistungen oder demografischen Veränderungen konnte Herr Kieffer als Ursache für eine erhöhte Leistungsdichte nicht ausschließen.


Österreichische Ambulanzen in Konkurrenz zu niedergelassenen Ärzten

Ambulante ärztliche Versorgung wird in Österreich in der niedergelassenen Praxis (Vertragsarzt und Wahlarzt), in Ambulanzvorrichtungen der Krankenkassen, in privaten Ambulatorien und in Ambulanzen der Krankenhäuser angeboten. Vor allem die letzt genannten (5,4 Mio. Fälle pro Jahr) konkurrieren mit den Ärzten in den niedergelassenen Vertragsarztpraxen (30 Mio. Fälle pro Jahr). Den Patienten stehen diese Einrichtungen direkt und ohne Überweisung offen.

Die Krankenhausambulanzen werden z.T. steuerfinanziert, z.T. über die Krankenkasse finanziert, anders als im niedergelassenen Bereich, der ausschließlich über die Honorare der Krankenkassen und die niedergelassenen Ärzte finanziert wird. Da die Nutzung der Krankenhausambulanz teurer ist als die Inanspruchnahme der niedergelassenen Ärzte, wurde versucht, die Zahl der Amublanzbesuche durch eine Gebühr, die von dem Patienten zu entrichten ist, (10,90 Euro mit Überweisung, 18,17 Euro ohne) einzudämmen. Immerhin schätzt die Regierung, dass ein Drittel der Ambulanzbesuche am Krankenhaus überflüssig ist. Doch die Erziehungsmaßnahme zeigt bis heute noch keinen Erfolg - die Strukturen scheinen fest etabliert zu sein: Zum einen wissen die Patienten, ohne sich erkundigen zu müssen, dass gerade zu Feierabend- und Wochenendzeiten die Ambulanzen der Krankenhäuser offen sind. Andererseits schicken auch gerne die Hausärzte ihre Patienten in die Krankenhäuser, da sie dort weniger Konkurrenz durch eine fachärztliche Betreuung vermuten und drittens sehen die Krankenhäuser in den ambulanten Patienten auch immer potentielle „Kunden“ für einen stationären Aufenthalt. So ist die Bereitstellung einer Ambulanz für die österreichischen Krankenhäuser auch eine Prestigesache, da eine Behandlung keine negativen finanziellen Auswirkungen für das Krankenhaus hat.


Ärzterichtlinie der Europäischen Union

Der Leiter der gemeinsamen Rechtsabteilung von Bundesärztekammer und Kassenärztlicher Bundesvereinigung, Herr RA Schirmer, stellte den neuen Kommissionsvorschlag für die Richtlinie zur Anerkennung von Berufsqualifikationen vor. (Der Vorschlag und die Reaktion der Bundesärztekammer wird im Kapitel „Ständiger Ausschuss der Europäischen Ärzte (CPME)“ und „Brüsseler Büro“ eingehend beschrieben.) Da dieser Vorschlag die seit über 25 Jahren bestehende, weitgehend automatische Anerkennung von ärztlichen Diplomen bedeuten würde, wurde sie von den teilnehmenden ärztlichen Organisationen einhellig abgelehnt.


Telematik in der Medizin

Der Einfluss Telematik (e-health) auf die Patienten/Arzt-Beziehung wurde in zwei Vorträgen von Dr. Denz (Schweiz) und Dr. Kloiber (BÄK) analysiert. Neue Kommunikationsmöglichkeiten eröffnen neue Möglichkeiten für die Gestaltung des Patienten/Arzt-Verhältnisses: Telematik-Dienste können sowohl vor einem Kontakt mit dem Arzt (Hilfe beim Finden des Arztes), bei der Kontaktaufnahme (Soll ein initialer
Behandlungskontakt zwischen Arzte und Patient in Zukunft gestattet sein?) als auch während der Behandlung (Behandlungsunterstützung, case management, Selbstkontrolle und Behandlung) in der Kommunikation zwischen Patient und Arzt eingesetzt werden. Den neuen Möglichkeiten stehen aber Gefahren gegenüber, wobei das vordringlichste Problem gegenwärtig die geringe Sicherheit des Internets darstellt.

Bei einem anschließenden Besuch im Hauptquartier des europäischen Satellitenbetreibers SES in Luxemburg, (z. B. Astra) wurden von Seiten der Industrie telemedizinische Projekte mit Satelliten gestützter Kommunikation vorgestellt.


Länderberichte

Luxemburg: Vordringliches Thema ist der Ärztemangel, denn der Beruf hat auch in Luxemburg an Attraktivität verloren. Gemeinsam mit der Regierung sucht die Ärztevereinigung nach Lösungen. Im Vordergrund stehen hierbei die Neuregelung der Bereitschaftsdienste und die sehr hohen Ansprüche der Patienten an die Verfügbarkeit der Ärzte.

Insgesamt geht es dem luxemburgischen Gesundheitswesen wirtschaftlich gut. Die Krankenkassen erwirtschaften weiterhin Überschüsse und politische Diskussionen werden vor allem darüber geführt, wie diese Überschüsse zwischen den Leistungserbringern verteilt
werden.

Österreich: Schon seit 2 Jahren leidet Österreich unter einer Finanzierungskrise. Die Sozialversicherungen schreiben rote Zahlen, doch eine politische Bereitschaft die Beitragssätze zu erhöhen, gibt es nicht.

Insgesamt sprach der Präsident der Ärztekammer, Dr. Pjeta, von einer „orientierungslosen“ Gesundheitspolitik in Österreich. Halbherzig wurde die Ambulanzgebühr eingeführt und über Nacht wurde eine Chipkarte beschlossen, über die bei jedem Arztbesuch direkt verrechnet werden soll.

Schweiz: Nach über zehnjähriger Vorbereitungszeit ist die neue Tarifstruktur TARMED durch ein Urabstimmung durch die schweizer Ärzte angenommen worden. Bei 54%iger Beteiligung stimmten 63% der Ärzte für den neuen Tarifrahmen. Für die Ärzteschaft ist die TARMED eine große Herausforderung. Der erste, auf betriebswirtschaftlichen Kalkulationen beruhende Tarif wird auch zu Einkommensverschiebungen zwischen den Ärzten führen, da viele ärztliche Tätigkeiten neu bewertet werden. Die TARMED soll im Januar 2004 eingeführt werden.

Die Forderung der Krankenkassen und einiger Politiker zur Abschaffung des Kontrahierungszwangs konnte zunächst abgewehrt werden. Im Vertrag zur TARMED wurde eine Klausel eingebaut, durch den bei einer künftigen Aufhebung des Kontrahierungszwanges die TARMED seine Gültigkeit verliert.

Eine aktuell große Herausforderung ist das Inkrafttreten der bilateralen Verträge zwischen der Schweiz und der Europäischen Union und damit verbunden die Möglichkeit der Niederlassung von EU-Bürgern in der Schweiz und umgekehrt. Bisher waren schon insgesamt 3000 EU-Bürger als Ärzte in der Schweiz tätig, die auch dringend benötigt werden. Sie hatten bisher aber kein Recht auf eine Niederlassung in der Schweiz. Nach dem Abschluss der bilateralen Verträge wurden zunächst von 600 ausländischen Ärzten, die alle schon lange in der Schweiz leben, Anträge auf Niederlassung gestellt. Kurz nach dem Inkrafttreten der Verträge wurde ein genereller Zulassungsstop angekündigt und zum 3. Juli 2002 in Kraft gesetzt. Dies hat zu einer Panik unter den Ärzten geführt und die Zulassungsanträge bis zum 3. Juli auf 2000 ansteigen lassen. Die Folge sind ein Wegbruch von vielen Ärzten aus den Krankenhäusern und der Verlust der Perspektive gerade für den Nachwuchs. Dr. Denz kritisierte den Aktionismus seiner Regierung, da diese Maßnahme gerade mit Hinblick auf den latenten Ärztemangel in der Schweiz nicht verständlich sei.

Südtirol: In Italien wurden die politischen Strukturen föderalisiert. In der Gesundheitspolitik bedeutet dies eine größere Autonomie für die Provinzen.

Auch in Südtirol werden zwar die Mittel für die Gesundheitsausgaben knapper, sie sind jedoch immer noch die höchsten Pro-Kopf-Ausgaben in Italien.

Angelehnt an den österreichischen Bericht beschrieb Dr. Widmann das Problem, dass auch die Südtiroler stärker als notwendig die Krankenhausambulanzen direkt aufsuchen. Um hier und in anderen Fällen Missbrauch einzudämmen, sind auch in Südtirol Maßnahmen zur Selbstbeteiligung bei Notdienst, stationärer Behandlung, Arzneimitteln, Flugrettung und Rettungsdienst beschlossen worden.

Deutschland: Über die gesundheitspolitische Entwicklungen des letzten Jahres und über den Ausblick auf die Wahl im September berichtete der Präsident der Bundesärztekammer, Prof. Dr. Dr. h.c. Hoppe. Er resümierte zunächst die Auswirkungen der Gesundheitsreform 2000, die vor allem zu einer sektoriellen Budgetierung geführt hat. Die Gleichung „Budgetierung führt zur Rationierung“ bestätige sich immer mehr. Aktuelles Thema war die Einführung der Disease Mangagement Programme (DMP) zur Regelung des Risikostrukturausgleichs. Ergänzt wurde die Darstellung durch Dr. Oesingmann, dem Präsidenten des Bundesverbandes der Freien Berufe und ehemaligen Vorsitzenden der Kassenärztlichen Bundesvereinigung. Dr. Oesingmann berichtete über neue Vertrags- und Versorgungsformen in der ambulanten Versorgung, in denen vor allem auch die DMPs als medizinisches und nicht als ökonomisches Instrument eingesetzt werden könnten.

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