Europäisches Forum der Ärzteverbände und der WHO vom 19. - 21. April 2002 in Wien

Auf Einladung der Österreichischen Ärztekammer nahmen Vertreter von Ärzteorganisationen aus 33 Ländern der WHO-Region Europa teil. Eröffnet wurde das Forum unter Anwesenheit und mit einem Eröffnungsvortrag des Staatssekretärs für Gesundheit, Prof. Dr. Reinhart Waneck. Der Radiologe Waneck ging in seinem Vortrag „Wie viel Gesundheit braucht Europa?“ auf das überall zu beobachtende Auseinanderdriften von Erwartungen und Ansprüchen an die medizinische Behandlung einerseits und den dafür nicht ausreichenden finanziellen Ressourcen andererseits ein. Auch in den reichen Staaten West- und Mitteleuropas bleiben inzwischen ernste und schwerwiegende Erkrankungen un- oder untertherapiert weil die notwendigen Mittel von den Sozialversicherungen oder staatlichen Gesundheitsdiensten nicht mehr aufgebracht werden. Für Ihn ist die ethische Frage im Zusammenhang mit der Finanzierung des Gesundheitswesens „also nicht primär die, wie viel finanzielle Mittel dafür aufgewendet werden, sondern viel mehr, ob für alle Bevölkerungsgruppen jede notwendige Versorgung frei und in möglichst umfassender oder qualitativ hochwertiger Form zugänglich ist.“

In einem zweiten Teil ging Waneck auf die von den Gesundheitssystemen - genauer gesagt von den Gesellschaften - übersehenen Gesundheit von Kindern und Jugendlichen ein. Prof. Waneck wies darauf hin, dass Erkrankungen, die ehemals vornehmlich im Erwachsenenalter auftraten, wie zum Beispiel Herz-Kreislauferkrankungen nun vermehrt bei Jugendlichen oder sehr jungen Erwachsenen auftrete. Eine permanente Stressbelastung führe letztendlich verstärkt zur Entwicklung von Fettsucht, Zuckerkrankheit, erhöhten Blutfettwerten, Müdigkeit und Depression. Die Vernachlässigung und Ablehnung der Kinder ist eine direkte Folge der Selbszentriertheit unsere Gesellschaften. Sie manifestiert sich auch im schlechteren Gesundheitszustand der Kinder und Jugendlichen. „Wir müssen daher wagen,“ schloss Prof. Waneck, „uns die unbehagliche Frage zu stellen, welchen Preis Kinder für unsere Selbstverwirklichung und Erwachsenenfreiheit bezahlen müssen! „

Neben den jährlichen Berichten zu Gesundheitsreformen in den Mitgliedsländern berichtete Frau Dr. Mila-Garcia Barbero für das WHO-Regionalbüro Kopenhagen. Die WHO -Vertreterin berichtete, dass die Weltgesundheitsorganisation in der Region Europa ihre Politik unter dem neuen Regionaldirektor Marc Danzon dahingehend geändert hat, dass der Fokus nicht mehr auf allgemeine Programme liegen sollte, sondern mehr auf „Länder und Bürger“. Das Regionalbüro ist daher in den nächsten Jahren stärker interessiert an

    Patienten und ihren Rechte

    Patienten und Medien

    Patienten und Internet

    Älteren Menschen und

    benachteiligten Bevölkerungsgruppen


Aus Sicht des Regionalbüros gibt es immer noch einen sehr starken Unterschied in der gesundheitlichen Versorgung sowie in den Lebenserwartungen und den Erkrankungshäufigkeiten zwischen West- und Osteuropa. Der Nachholbedarf in Osteuropa sei immer noch deutlich sichtbar.

Begrenzung des Tabakkonsums

In einer Resolution gegen den Tabakkonsum stellt sich das Forum hinter die (zum Sitzungszeitpunkt) geplante Rahmenkonvention der WHO über die Begrenzung des Tabakgebrauchs und empfiehlt allen Mitgliedsorganisationen

    eine Tabakbegrenzungsstrategie einzurichten

    evidenzbasierte Empfehlungen zum Tabakentzug zu erarbeiten

    die Parlamente für einen besseren Nichtraucherschutz gegenüber Tabakrauch am Arbeitsplatz, in öffentlichen Gebäuden, Verkehrsmitteln und Restaurants zu beraten und sich für – verstärkte Aktivitäten von Ärzten gegen das Rauchen einzusetzen


Des weitern stellt sich das Forum hinter das geplante Verbot der Tabakwerbung durch die Europäischen Union.

Neue und wieder aufgetretene Infektionskrankheiten in der Europäischen Region

Dr. Bernadus Ganter, Regional Advisor for Infectious Diseases der WHO im Regionalbüro Europa berichtete, dass in den letzten Jahren nicht nur die Tuberkulose in Osteuropa wieder sehr häufig aufgetreten ist, sondern dass auch andere Erkrankungen, wie z.B. Malaria in den 80er Jahren fast völlig aus dem europäischen Raum verschwunden war, in den östlichen Länder Europas und in den asiatischen Ländern der WHO Region Europas und in Georgien und Usbekistan sogar epidemische Ausmaße angenommen habe. Der Ausbruch bestimmter Meningitiden (Hirnhautentzündungen) im Jahre 2000 führte er auf Pilgerreisen nach Saudi-Arabien zurück. Besonders beachtenswert ist der Anstieg der resistenten Keime, nicht nur beim Erreger der Tuberkulose sondern auch bei vielen anderen Stämmen, die oft sogar Multiresistenzen aufweisen und damit extrem schwer zu therapieren sind.

In diesem Zusammenhang berichtete Dr. Baquero, Spanien, dass teilweise ein exzessiver und unangemessener Gebrauch von Antibiotika die Ausbildung von Resistenzen fördere und damit zu einem Gesundheitsrisiko für Menschen und Tiere geworden sind.

Evidenced Based Medicine

In einem Vortrag über evidenzbasierte Medizin stellte Prof. Matthias Egger, Bristol, fest, dass wesentliche Prinzipien der evidenzbasierten Medizin bisher nicht ausreichend in das Medizinstudium eingedrungen sind. Außer sei die Umsetzung der Erkenntnisse aus der evidenzbasierten Medizin in die klinische Praxis immer noch nicht ausreichend gelöst und es stelle sich die Frage, wie die Transmission von Evidenz in klinisches Handel verbessert werden könne.

Prof. Trisha Greenhalgh, London, sprach über die Wichtigkeit des Dialogs mit dem Patienten im Rahmen der evidenzbasierten Medizin und gab Hinweise, wie die Kommunikation zwischen Arzt und Patient durch eine Konzentration auf den Dialog mit dem Patienten verbessert werden könne.

Der israelisch-palästinensische Konflikt

In einer Resolution zum Israelisch-Palästinensischen Konflikt forderte das Forum die Konfliktparteien auf, die ärztlichen Dienste ungehindert und nicht- diskreminatorisch tätig werden zu lassen.

Europäisches Forum der Ärzteverbände und der WHO vom 7. – 10. Februar 2003 in Berlin

Über 40 Vertreter von ärztlichen Verbänden und Beobachtern aus 35 Ländern diskutierten Probleme der Gesundheitspolitik und der ärztlichen Arbeit auf Einladung der Bundesärztekammer, des Hartmannbundes, des Marburger Bundes und des NAV Virchow Bundes im Februar 2003 in Berlin.

Zur Eröffnung begrüßte der Staatssekretär im Gesundheitsministerium, Dr. Klaus Theo Schröder, die Teilnehmer und betonte drei Herausforderungen, die die Bundesregierung in der europäischen Gesundheitspolitik sehe:

•    die hohen Anforderungen an Qualität,

•    die demographische Entwicklung und

•    die Chancen des medizinischen Fortschritts.

Er betonte aber auch, dass der finanzielle Druck auf die Gesundheitswesen eine höhere Effizienz in der Zukunft notwendig mache. Sowohl die Globalisierung als auch die erhöhte Mobilität in der Welt und damit die stärkere Verbreitung von Infektionskrankheiten zeigten, wie notwendig die Zusammenarbeit mit der WHO sei.

In der darauf folgenden Diskussion wurde allerdings auch kritisiert, dass die Bundesregierung das Tabakwerbeverbot der europäischen Union bekämpft. Dr. Schröder erwiderte, dass der Erlass eines solchen Verbots die Kompetenzen der Europäischen Union überschreite und dass die Einwände der Bundesregierung aus prinzipiellen Gründen erfolgt seien.

Bericht des WHO Regionalbüros

Frau Dr. Mila-Garcia Barbero berichtete über die Schwerpunkte der WHO Arbeit für die folgenden Jahre, zu denen nach wie vor der Kampf gegen die Infektionskrankheiten aber auch gegen die Armut in weiten Teilen der Region gehöre. Sowohl die Infektionskrankheiten als auch andere Parameter, wie z.B. die Kinder- und Müttersterblichkeit sind nach wie vor mit Armut stark korreliert und in einigen Länder der europäischen Region ist das Pro-Kopf Einkommen pro Tag niedriger als 4 Dollar, womit es unter der offiziellen Armutsgrenze liegt.

Burn-Out-Syndrom bei Ärzten

In drei Vorträgen von Frau Dr. Talma Kushnir, Tel Aviv, Herrn Dr. Peter Schröder, Freiburg und Herrn Dr. Markku Äärimaa, Finnland, wurde deutlich, dass mit standardisierten Syndrombeschreibungen in der Tat eine Zunahme des Burn-Out-Syndroms bei Ärzten in den verschiedenen Ländern der WHO Region Europas festgestellt werden kann. Die Symptome des Burn-Out, wie z.B. die emotionale Erschöpfung, die Entpersonalisierung oder das Gefühl eines Kompetenzverlustes und der persönlichen Ineffektivität nehmen in der Länder der Region Europa unter Ärzten ständig zu. Wenn auch Ursachen noch nicht mit Sicherheit identifiziert werden können, so ist doch auffällig, dass diese Entwicklung mit einem erhöhten ökonomischen Druck auf die Ärzteschaft parallel läuft.

Dr. Schröder zeigte allerdings auch auf, dass in vielen Fällen sehr einfache Verhaltensregeln und Maßnahmen zu einer Therapie des Burn-Out-Syndroms beitragen können.

In einer Resolution zum Burn-Out-Syndrom äußerte sich das Forum besorgt über den Anstieg der Symptome bei Ärzten in der Region. Das Forum stellte fest, dass unter dem ansteigenden Burn-Out-Syndrom auch die Qualität der Gesundheitsversorgung langfristig leide und die ärztliche Arbeitskraft insgesamt dadurch stark reduziert werde. Das Forum forderte die WHO auf, die ernsten Konsequenzen des Burn-Out-Syndroms anzuerkennen und regte an, mehr internationale Forschung in diesem Bereich zu ermöglichen.

Telematik in der Medizin

Unter Leitung von Dr. Hans Heinrich Brunner, Bern, wurden die aktuellen Entwicklungen in der Telemedizin bzw. der Telematik in der Medizin in der Region ausgetauscht. Die Telematik in der Medizin kann und soll helfen, Ressourcen besser und ökonomischer zu nutzen oder aber auch sie über Distanzen zur Verfügung zu stellen (Telemedizin). Beispiele aus dem Disease-Management, durch den Einsatz von Call-Centern, oder in der Qualitätssicherung, durch die Kooperation in Netzwerken und die Zusammenarbeit an dezidierten medizinischen Problemen, zeigen ein hohes Potential für den Einsatz in der Medizin. Gesetzliche Barrieren, eine unklare Finanzierung und das Nicht-Vorhandensein von Standards sowie eine mangelhafte Sicherheit im Internet behindern zur Zeit jedoch noch die breite Einführung der Telematik in der Medizin.

Verhältnis zwischen Ärzten und der Industrie

In zwei Vorträgen von Prof. Dr.  J. Collier, London, und Prof. Dr. Ingo Flenker, Dortmund, wurden Modelle zum Umgang mit dem Sponsoring durch die Industrie beschrieben. Während Prof. Collier. zu einer absoluten Abstinenz gegenüber jeglichen Sponsoring durch die Industrie rät, empfiehlt Prof. Flenker ein hohes Maß an Transparenz als eine Möglichkeit, Sponsoring mit der ärztlichen Unabhängigkeit zu verbinden. Letztendlich, so führte Prof. Flenker aus, müsste der Realität Rechnung getragen werden und die zeige nun einmal, dass große Teile sowohl der ärztlichen Fortbildung als auch der Forschung inzwischen nicht mehr ohne die Unterstützung der Industrie machbar seien. Es käme auch nicht darauf an, die Industrie zu verbannen, sondern vielmehr das Verhältnis zwischen Industrie und Ärzten vernünftig und das hieße vor allem transparent zu regeln. Er wies hierbei der ärztlichen Selbstverwaltung eine Schlüsselrolle bei der Herstellung der Transparenz zu.

Gegenseitige Anerkennung von Diplomen und Qualifikationen (Kompetenzfeststellung)

In einem einleitenden Vortrag berichtet Prof. Edelmann, Tel Aviv, von seinen Erfahrungen mit der Diplomanerkennung von Ärzten, die nach Israel migrieren. Dort werden seit nunmehr vielen Jahren die Ärzte individuell geprüft, weil bei vielen Ärzten ein mangelhaftes Qualifikationsniveau eine weitere Tätigkeit als Arzt in Israel verbietet. In einer Diskussion über die Rezertifizierung von ärztlichen Qualifikationen wurde von den Ländern, die eine Rezertifizierung eingeführt haben (Slowenien, Kroatien und Rumänien) betont, dass die Rezertifizierung seinerzeit durch die Kammern eingeführt worden sei, um ein Argument gegenüber der Regierung zur Bereitstellung der nötigen Ressourcen für die ärztliche Fortbildung in der Hand zu haben.

Verschuldensunabhängige Haftung

Rechtsanwalt Horst-Dieter Schirmer gab eine Übersicht über die verschiedenen Haftungssysteme in Europa. Grundsätzlich finden sich in Europa sowohl verschuldensabhängig als auch verschuldensunabhängig organisierte Haftungssysteme. Ein Nachteil bei den verschuldensabhängigen Systemen ist, dass die Beweislast bei den Patienten liegt und daraus ein gewisser politischer Druck gegen verschuldensabhängige Systeme entsteht. In der Diskussion zeigte sich aber, dass auch die verschuldensunabhängigen Systeme große Probleme aufwiesen. So führten sie in Israel z.B. zu einer sehr starken Defensivmedizin und zu einer geringen Bereitschaft, Fälle überhaupt zu diskutieren. Positive Erfahrungen berichteten den skandinavischen Ländern, in denen die Patienten in einem eigenen Versicherungssystem teilweise seit über einem viertel Jahrhundert gegen die „nicht natürliche Schäden“ der Behandlung versichert sind.

Maßnahmen zur Reduktion des Tabakgebrauchs in Europa

In einer Erklärung bestätigte das Forum seine Position gegen den Tabakgebrauch und wies besonders auf die Rolle zum Schutz der öffentlichen Gesundheit gegen den Tabakkonsum hin. Die inzwischen verabschiedete EU-Richtlinie zum Verbot der Tabakwerbung begrüßte das Forum ausdrücklich und forderte die Regierung der Union auf, diese Richtlinie rasch und komplett umzusetzen.

© 2003, Bundesärztekammer.