Auf
Einladung der Österreichischen Ärztekammer nahmen Vertreter von
Ärzteorganisationen aus 33 Ländern der WHO-Region Europa teil. Eröffnet wurde
das Forum unter Anwesenheit und mit einem Eröffnungsvortrag des Staatssekretärs
für Gesundheit, Prof. Dr. Reinhart Waneck. Der Radiologe Waneck ging in seinem
Vortrag „Wie viel Gesundheit braucht Europa?“ auf das überall zu beobachtende
Auseinanderdriften von Erwartungen und Ansprüchen an die medizinische
Behandlung einerseits und den dafür nicht ausreichenden finanziellen Ressourcen
andererseits ein. Auch in den reichen Staaten West- und Mitteleuropas bleiben
inzwischen ernste und schwerwiegende Erkrankungen un- oder untertherapiert weil
die notwendigen Mittel von den Sozialversicherungen oder staatlichen Gesundheitsdiensten
nicht mehr aufgebracht werden. Für Ihn ist die ethische Frage im Zusammenhang
mit der Finanzierung des Gesundheitswesens „also nicht primär die, wie viel
finanzielle Mittel dafür aufgewendet werden, sondern viel mehr, ob für alle
Bevölkerungsgruppen jede notwendige Versorgung frei und in möglichst
umfassender oder qualitativ hochwertiger Form zugänglich ist.“
In
einem zweiten Teil ging Waneck auf die von den Gesundheitssystemen - genauer
gesagt von den Gesellschaften - übersehenen Gesundheit von Kindern und
Jugendlichen ein. Prof. Waneck wies darauf hin, dass Erkrankungen, die ehemals
vornehmlich im Erwachsenenalter auftraten, wie zum Beispiel
Herz-Kreislauferkrankungen nun vermehrt bei Jugendlichen oder sehr jungen
Erwachsenen auftrete. Eine permanente Stressbelastung führe letztendlich
verstärkt zur Entwicklung von Fettsucht, Zuckerkrankheit, erhöhten
Blutfettwerten, Müdigkeit und Depression. Die Vernachlässigung und Ablehnung
der Kinder ist eine direkte Folge der Selbszentriertheit unsere Gesellschaften.
Sie manifestiert sich auch im schlechteren Gesundheitszustand der Kinder und
Jugendlichen. „Wir müssen daher wagen,“ schloss Prof.
Waneck, „uns die unbehagliche Frage zu stellen, welchen Preis Kinder für unsere
Selbstverwirklichung und Erwachsenenfreiheit bezahlen müssen! „
Neben
den jährlichen Berichten zu Gesundheitsreformen in den Mitgliedsländern
berichtete Frau Dr. Mila-Garcia Barbero für das WHO-Regionalbüro Kopenhagen.
Die WHO -Vertreterin berichtete, dass die Weltgesundheitsorganisation in der
Region Europa ihre Politik unter dem neuen Regionaldirektor Marc Danzon
dahingehend geändert hat, dass der Fokus nicht mehr auf allgemeine Programme
liegen sollte, sondern mehr auf „Länder und Bürger“. Das Regionalbüro ist daher
in den nächsten Jahren stärker interessiert an
– Patienten und ihren Rechte
– Patienten und Medien
– Patienten und Internet
– Älteren Menschen und
– benachteiligten
Bevölkerungsgruppen
Aus Sicht
des Regionalbüros gibt es immer noch einen sehr starken Unterschied in der
gesundheitlichen Versorgung sowie in den Lebenserwartungen und den
Erkrankungshäufigkeiten zwischen West- und Osteuropa. Der Nachholbedarf in
Osteuropa sei immer noch deutlich sichtbar.
Begrenzung des Tabakkonsums
In einer
Resolution gegen den Tabakkonsum stellt sich das Forum hinter die (zum
Sitzungszeitpunkt) geplante Rahmenkonvention der WHO über die Begrenzung des
Tabakgebrauchs und empfiehlt allen Mitgliedsorganisationen
– eine Tabakbegrenzungsstrategie einzurichten
– evidenzbasierte Empfehlungen zum Tabakentzug zu erarbeiten
– die Parlamente für einen besseren Nichtraucherschutz
gegenüber Tabakrauch am Arbeitsplatz, in öffentlichen Gebäuden, Verkehrsmitteln
und Restaurants zu beraten und sich für – verstärkte Aktivitäten von Ärzten
gegen das Rauchen einzusetzen
Des weitern stellt sich das Forum
hinter das geplante Verbot der Tabakwerbung durch die Europäischen Union.
Neue und wieder aufgetretene Infektionskrankheiten in der Europäischen
Region
Dr.
Bernadus Ganter, Regional Advisor for Infectious Diseases der WHO im
Regionalbüro Europa berichtete, dass in den letzten Jahren nicht nur die
Tuberkulose in Osteuropa wieder sehr häufig aufgetreten ist, sondern dass auch
andere Erkrankungen, wie z.B. Malaria in den 80er Jahren fast völlig aus dem
europäischen Raum verschwunden war, in den östlichen Länder Europas und in den
asiatischen Ländern der WHO Region Europas und in Georgien und Usbekistan sogar
epidemische Ausmaße angenommen habe. Der Ausbruch bestimmter Meningitiden
(Hirnhautentzündungen) im Jahre 2000 führte er auf Pilgerreisen nach
Saudi-Arabien zurück. Besonders beachtenswert ist der Anstieg der resistenten
Keime, nicht nur beim Erreger der Tuberkulose sondern auch bei vielen anderen
Stämmen, die oft sogar Multiresistenzen aufweisen und damit extrem schwer zu therapieren
sind.
In
diesem Zusammenhang berichtete Dr. Baquero, Spanien, dass
teilweise ein exzessiver und unangemessener Gebrauch von Antibiotika die
Ausbildung von Resistenzen fördere und damit zu einem Gesundheitsrisiko für
Menschen und Tiere geworden sind.
Evidenced Based Medicine
In einem
Vortrag über evidenzbasierte Medizin stellte Prof. Matthias Egger, Bristol,
fest, dass wesentliche Prinzipien der evidenzbasierten Medizin bisher nicht
ausreichend in das Medizinstudium eingedrungen sind. Außer sei die Umsetzung
der Erkenntnisse aus der evidenzbasierten Medizin in die klinische Praxis immer
noch nicht ausreichend gelöst und es stelle sich die Frage, wie die
Transmission von Evidenz in klinisches Handel verbessert werden könne.
Prof.
Trisha Greenhalgh, London, sprach über die Wichtigkeit des Dialogs mit dem
Patienten im Rahmen der evidenzbasierten Medizin und gab Hinweise, wie die
Kommunikation zwischen Arzt und Patient durch eine Konzentration auf den Dialog
mit dem Patienten verbessert werden könne.
Der israelisch-palästinensische Konflikt
In einer
Resolution zum Israelisch-Palästinensischen Konflikt forderte das Forum die
Konfliktparteien auf, die ärztlichen Dienste ungehindert und nicht-
diskreminatorisch tätig werden zu lassen.
Europäisches Forum der Ärzteverbände und der WHO vom 7. – 10. Februar 2003
in Berlin
Über 40
Vertreter von ärztlichen Verbänden und Beobachtern aus 35 Ländern diskutierten
Probleme der Gesundheitspolitik und der ärztlichen Arbeit auf Einladung der
Bundesärztekammer, des Hartmannbundes, des Marburger Bundes und des NAV Virchow
Bundes im Februar 2003 in Berlin.
Zur
Eröffnung begrüßte der Staatssekretär im Gesundheitsministerium, Dr. Klaus Theo
Schröder, die Teilnehmer und betonte drei Herausforderungen, die die
Bundesregierung in der europäischen Gesundheitspolitik sehe:
• die hohen Anforderungen an Qualität,
• die demographische Entwicklung und
• die Chancen des medizinischen
Fortschritts.
Er
betonte aber auch, dass der finanzielle Druck auf die Gesundheitswesen eine höhere
Effizienz in der Zukunft notwendig mache. Sowohl die Globalisierung als auch
die erhöhte Mobilität in der Welt und damit die stärkere Verbreitung von
Infektionskrankheiten zeigten, wie notwendig die Zusammenarbeit mit der WHO
sei.
In der
darauf folgenden Diskussion wurde allerdings auch kritisiert, dass die
Bundesregierung das Tabakwerbeverbot der europäischen Union bekämpft. Dr.
Schröder erwiderte, dass der Erlass eines solchen Verbots die Kompetenzen der
Europäischen Union überschreite und dass die Einwände der Bundesregierung aus
prinzipiellen Gründen erfolgt seien.
Bericht des WHO Regionalbüros
Frau
Dr. Mila-Garcia Barbero berichtete über die Schwerpunkte der WHO Arbeit für die
folgenden Jahre, zu denen nach wie vor der Kampf gegen die Infektionskrankheiten
aber auch gegen die Armut in weiten Teilen der Region gehöre. Sowohl die
Infektionskrankheiten als auch andere Parameter, wie z.B. die Kinder- und
Müttersterblichkeit sind nach wie vor mit Armut stark korreliert und in einigen
Länder der europäischen Region ist das Pro-Kopf Einkommen pro Tag niedriger als
4 Dollar, womit es unter der offiziellen Armutsgrenze liegt.
Burn-Out-Syndrom bei Ärzten
In drei
Vorträgen von Frau Dr. Talma Kushnir, Tel Aviv, Herrn Dr. Peter Schröder,
Freiburg und Herrn Dr. Markku Äärimaa, Finnland, wurde deutlich, dass mit
standardisierten Syndrombeschreibungen in der Tat eine Zunahme des
Burn-Out-Syndroms bei Ärzten in den verschiedenen Ländern der WHO Region
Europas festgestellt werden kann. Die Symptome des Burn-Out, wie z.B. die
emotionale Erschöpfung, die Entpersonalisierung oder das Gefühl eines
Kompetenzverlustes und der persönlichen Ineffektivität nehmen in der Länder der
Region Europa unter Ärzten ständig zu. Wenn auch Ursachen noch nicht mit
Sicherheit identifiziert werden können, so ist doch auffällig, dass diese
Entwicklung mit einem erhöhten ökonomischen Druck auf die Ärzteschaft parallel
läuft.
Dr. Schröder zeigte allerdings auch
auf, dass in vielen Fällen sehr einfache Verhaltensregeln und Maßnahmen zu
einer Therapie des Burn-Out-Syndroms beitragen können.
In einer
Resolution zum Burn-Out-Syndrom äußerte sich das Forum besorgt über den Anstieg
der Symptome bei Ärzten in der Region. Das Forum stellte fest, dass unter dem
ansteigenden Burn-Out-Syndrom auch die Qualität der Gesundheitsversorgung
langfristig leide und die ärztliche Arbeitskraft insgesamt dadurch stark
reduziert werde. Das Forum forderte die WHO auf, die ernsten Konsequenzen des
Burn-Out-Syndroms anzuerkennen und regte an, mehr internationale Forschung in
diesem Bereich zu ermöglichen.
Telematik in der Medizin
Unter
Leitung von Dr. Hans Heinrich Brunner, Bern, wurden die aktuellen Entwicklungen
in der Telemedizin bzw. der Telematik in der Medizin in der Region
ausgetauscht. Die Telematik in der Medizin kann und soll helfen, Ressourcen
besser und ökonomischer zu nutzen oder aber auch sie über Distanzen zur
Verfügung zu stellen (Telemedizin). Beispiele aus dem Disease-Management, durch
den Einsatz von Call-Centern, oder in der Qualitätssicherung, durch die
Kooperation in Netzwerken und die Zusammenarbeit an dezidierten medizinischen
Problemen, zeigen ein hohes Potential für den Einsatz in der Medizin.
Gesetzliche Barrieren, eine unklare Finanzierung und das Nicht-Vorhandensein
von Standards sowie eine mangelhafte Sicherheit im Internet behindern zur Zeit jedoch noch die breite Einführung der Telematik in
der Medizin.
Verhältnis zwischen Ärzten und der Industrie
In
zwei Vorträgen von Prof. Dr. J. Collier,
London, und Prof. Dr. Ingo Flenker, Dortmund, wurden Modelle zum Umgang mit dem
Sponsoring durch die Industrie beschrieben. Während Prof. Collier. zu einer
absoluten Abstinenz gegenüber jeglichen Sponsoring durch die Industrie rät,
empfiehlt Prof. Flenker ein hohes Maß an Transparenz als eine Möglichkeit, Sponsoring
mit der ärztlichen Unabhängigkeit zu verbinden. Letztendlich, so führte Prof.
Flenker aus, müsste der Realität Rechnung getragen werden und die zeige nun
einmal, dass große Teile sowohl der ärztlichen Fortbildung als auch der
Forschung inzwischen nicht mehr ohne die Unterstützung der Industrie machbar
seien. Es käme auch nicht darauf an, die Industrie zu verbannen, sondern
vielmehr das Verhältnis zwischen Industrie und Ärzten vernünftig und das hieße
vor allem transparent zu regeln. Er wies hierbei der ärztlichen
Selbstverwaltung eine Schlüsselrolle bei der Herstellung der Transparenz zu.
Gegenseitige Anerkennung von Diplomen und Qualifikationen
(Kompetenzfeststellung)
In einem
einleitenden Vortrag berichtet Prof. Edelmann, Tel Aviv, von seinen Erfahrungen
mit der Diplomanerkennung von Ärzten, die nach Israel migrieren. Dort werden
seit nunmehr vielen Jahren die Ärzte individuell geprüft, weil bei vielen
Ärzten ein mangelhaftes Qualifikationsniveau eine weitere Tätigkeit als Arzt in
Israel verbietet. In einer Diskussion über die Rezertifizierung von ärztlichen
Qualifikationen wurde von den Ländern, die eine Rezertifizierung eingeführt
haben (Slowenien, Kroatien und Rumänien) betont, dass die Rezertifizierung
seinerzeit durch die Kammern eingeführt worden sei, um ein Argument gegenüber
der Regierung zur Bereitstellung der nötigen Ressourcen für die ärztliche
Fortbildung in der Hand zu haben.
Verschuldensunabhängige Haftung
Rechtsanwalt
Horst-Dieter Schirmer gab eine Übersicht über die verschiedenen Haftungssysteme
in Europa. Grundsätzlich finden sich in Europa sowohl verschuldensabhängig als
auch verschuldensunabhängig organisierte Haftungssysteme. Ein Nachteil bei den
verschuldensabhängigen Systemen ist, dass die Beweislast bei den Patienten
liegt und daraus ein gewisser politischer Druck gegen verschuldensabhängige
Systeme entsteht. In der Diskussion zeigte sich aber, dass auch die
verschuldensunabhängigen Systeme große Probleme aufwiesen. So führten sie in
Israel z.B. zu einer sehr starken Defensivmedizin und zu einer geringen
Bereitschaft, Fälle überhaupt zu diskutieren. Positive Erfahrungen berichteten den
skandinavischen Ländern, in denen die Patienten in einem eigenen
Versicherungssystem teilweise seit über einem viertel Jahrhundert gegen die
„nicht natürliche Schäden“ der Behandlung versichert sind.
Maßnahmen zur Reduktion des Tabakgebrauchs in Europa
In einer
Erklärung bestätigte das Forum seine Position gegen den Tabakgebrauch und wies
besonders auf die Rolle zum Schutz der öffentlichen Gesundheit gegen den
Tabakkonsum hin. Die inzwischen verabschiedete EU-Richtlinie zum Verbot der
Tabakwerbung begrüßte das Forum ausdrücklich und forderte die Regierung der
Union auf, diese Richtlinie rasch und komplett umzusetzen.
|