Westfalen-Lippe: Windhorst appelliert: Mit der „Diagnose Behinderung“ verantwortungsbewusst umgehen
Münster - Für einen verantwortungsvollen Umgang mit den medizinischen Möglichkeiten von pränatalen Gentests hat sich der Präsident der Ärztekammer Westfalen-Lippe (ÄKWL), Dr. Theodor Windhorst, anlässlich des diesjährigen Ethikforums der ÄKWL unter dem Titel „Genetische Tests – Nichtinvasive Untersuchungsmethoden zur Feststellung von Trisomie 21“ in Münster ausgesprochen. Der medizinische Fortschritt lasse sich weder aufhalten noch geheim halten oder verbieten, so der Kammerpräsident. Wenn die immer weiter voranschreitende Gendiagnostik nichtinvasive, damit schonende Aussagen über den Gesundheitszustand von Neugeborenen ermögliche, würden diese auch zunehmend in Anspruch genommen. „Die Gesellschaft, die Ärzteschaft und auch die individuell Betroffenen müssen sich mit den Ergebnissen dieser Entwicklung auseinandersetzen.“
Windhorst: „Es ist eine gesamtgesellschaftliche Problematik, wie wir zukünftig mit Krankheit und Behinderung umgehen. Jeder Mensch ist in seiner Person einzigartig und unverwechselbar, ob mit oder ohne Behinderung. Am Umgang mit Menschen, die nicht einem gängigen Menschenbild entsprechen, wird der Charakter einer Gesellschaft sichtbar.“ Die Gesellschaft müsse Rahmenbedingungen schaffen, damit Familien mit einem behinderten Kind auch die notwendigen Hilfsangebote und Unterstützung erhielten. „Die Solidargemeinschaft darf niemanden allein lassen.“
Präsident Windhorst warnt in diesem Zusammenhang vor einem Automatismus von vorgeburtlicher Prognose einer Behinderung und Schwangerschaftsabbruch. Es dürfe nicht sein, dass Kinder, die mit einer Behinderung wie Trisomie 21, Mukoviszidose oder Thalassämie zur Welt kommen, in der Gesellschaft als ein vermeidbares Übel angesehen würden. Es dürfe vor allem nicht sein, dass gesellschaftlicher Druck die individuelle Entscheidung der betroffenen Eltern dahingehend beeinflusse.
„Bei allem Segen, den die medizinische Forschung in den letzten Jahrzehnten gebracht hat, müssen Menschenwürde und Menschenrechte immer im Focus stehen. Hier brauchen gerade wir Ärztinnen und Ärzte ein hohes Maß an ethischem Bewusstsein, insbesondere denjenigen gegenüber, die nicht unserer gesellschaftlichen Norm entsprechen. In keinem Fall dürfen sich Ärztinnen und Ärzte für die Erschaffung eines Menschen nach Maß instrumentalisieren lassen“, so Windhorst. Vielmehr sei es Aufgabe der Ärzte, ergebnisoffen darüber zu informieren, was eine Behinderung bedeutet, und über mögliche Konsequenzen der vorgeburtlichen genetischen Untersuchung zu beraten. Eine ausführliche Beratung solle daher unbedingt einem Test vorausgehen. Nur so könne verhindert werden, dass die „Diagnose Behinderung“ zu einer Abtreibung führt.
Kammerpräsident Windhorst begrüßt die aktuelle Entscheidung des Gemeinsamen Bundesausschusses, den Bluttest auf Trisomie 21 als Kassenleistung in bestimmten Fällen zu bezahlen. Die Frage über die Entscheidung, ein behindertes Kind zur Welt zu bringen und zu pflegen, dürfe nicht vom Geldbeutel der werdenden Eltern abhängen. „Für mich ist es keine Frage, dass die Krankenkassen den Bluttest auf Trisomie 21 bezahlen müssen. Sonst hätten wir eine Zwei-Klassen-Gesellschaft: die einen, die sich den Test leisten können und die anderen, die das eben nicht können.“