25.10.2011
Die Bundesärztekammer wurde mit Schreiben vom 27.09.2011 zur Stellungnahme gemäß § 91 Abs. 5 SGB V bezüglich einer Änderung der Arbeitsunfähigkeits-Richtlinie (AU-RL) - Bewertungsmaßstab der Arbeitsunfähigkeit für Arbeitslose im SGB-II-Bezug - aufgefordert.
Laut § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 7 SGB V soll der G-BA auch Richtlinien beschließen über die „Beurteilung der Arbeitsunfähigkeit einschließlich der Arbeitsunfähigkeit der nach § 5 Abs. 1 Nr. 2a und der nach § 10 versicherten erwerbsfähigen Hilfebedürftigen im Sinne des Zweiten Buches“. [Die in Fettdruck hervorgehobene Passage entspricht der Änderung durch das Gesetz zur Neuausrichtung der arbeitsmarktpolitischen Instrumente (ArbMINAG), geändert durch Artikel 4a G. v. 21.12.2008 BGBl. I S. 2917, mit Wirkung vom 01.01.2009.]
Die Umsetzung dieses gesetzlichen Auftrags ist in den Beratungen des zuständigen G-BA-Unterausschusses „Veranlasste Leistungen“ strittig geblieben:
Eine Position (in den Unterlagen des G-BA mit „A“ gekennzeichnet) lautet, dass der genannte Regelungsauftrag nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 7 SGB V, soweit hierin Richtlinien zur Beurteilung der Arbeitsunfähigkeit erwerbsfähiger Leistungsberechtigter im Sinne des SGB II zu erlassen sind, nicht in Einklang mit höherrangigem Recht stehe. Die Feststellung der Arbeitsunfähigkeit dieses Personenkreises sei insbesondere im Zusammenhang mit dem Leistungsanspruch von erwerbsfähigen Leistungsberechtigten gegenüber der Bundesagentur für Arbeit relevant. Eine entsprechende Bescheinigung diene der Bundesagentur für Arbeit zur Prüfung von Leistungsansprüchen; dies gehöre aber nicht zum Umfang der vertragsärztlichen Versorgung, wie er in § 73 Abs. 2 Satz 1 SGB V bestimmt ist. Zur vertragsärztlichen Versorgung gehörten vielmehr solche Bescheinigungen, welche Krankenkassen oder der MDK für die Erfüllung ihrer Aufgaben benötigen. Eine Einbeziehung der Aufgaben der Bundesagentur für Arbeit in die vertragsärztliche Versorgung wäre hingegen systemwidrig.
Es wird außerdem auf eine unverhältnismäßige Belastung des Vertrauensverhältnisses zwischen Arzt und Patient verwiesen, indem der Arzt den arbeitslosen Patienten nach dem Bezug von Arbeitslosengeld II fragen müsste.
Die in den Unterlagen des G-BA als „B“ gekennzeichnete Positionen betont hingegen die Notwendigkeit für den G-BA, den gesetzlichen Auftrag zur Konkretisierung der Bewertungsmaßstäbe für die Beurteilung von Arbeitsunfähigkeit unter Einbeziehung des oben geschilderten Personenkreises umzusetzen. Dazu sollen die bestehenden „Richtlinien zur Arbeitsunfähigkeit“ wie folgt geändert bzw. ergänzt werden:
„§ 2 Definition und Bewertungsmaßstäbe
Abs. 3: 1ArbeitsloseBezieher von Arbeitslosengeld sind arbeitsunfähig, wenn sie krankheitsbedingt nicht mehr in der Lage sind, leichte Arbeiten in einem zeitlichen Umfang zu verrichten, für den sie sich bei der Agentur für Arbeit zur Verfügung gestellt haben. 2Dabei ist es unerheblich, welcher Tätigkeit der Versicherte vor der Arbeitslosigkeit nachging.
Abs. 3a (neu): 1Erwerbsfähige Leistungsberechtigte, die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II (Grundsicherung für Arbeitsuchende – „Hartz IV“) beantragt haben oder beziehen, sind arbeitsunfähig, wenn sie krankheitsbedingt nicht in der Lage sind, mindestens drei Stunden täglich zu arbeiten oder an einer Eingliederungsmaßnahme teilzunehmen."
Der neu eingeführten Absatz 3a soll in einer eigenen Definition die Arbeitsunfähigkeit für Leistungsbezieher nach SGB III in § 2 Abs. 3 von derjenigen nach SGB II abgrenzen. Letztere soll auch auf Personen anwendbar sein, die einer vom Träger der Grundsicherung, dem sog. „Jobcenter“, angebotenen Arbeit oder Arbeitsgelegenheit („1-Euro-Job") nachgehen. Die Regelung „mindestens drei Stunden“ orientiere sich an §§ 119 Abs. 5 Nr.1 SGB III.
Die Bundesärztekammer nimmt zu den Richtlinienänderungen wie folgt Stellung:
Die Bundesärztekammer stimmt dem in Position „B“ formulierten Änderungsvorschlag zu. Mit dieser Änderung bzw. Ergänzung wird die Arbeitsunfähigkeitsrichtlinie konsequent weiterentwickelt. Es wird Rechtsklarheit sowohl für die Ärzte als auch für die Versicherten geschaffen.
Die Begründung für die Ablehnung der Änderung bzw. Ergänzung, wie sie in Position „A“ beschrieben wird, kann von der Bundesärztekammer in dieser Form nicht nachvollzogen werden. Die dort verwendete Argumentation würde nahelegen, dass z. B in § 2 der Arbeitsunfähigkeitsrichtlinie die Absätze 6 (Rentner, die eine Erwerbstätigkeit ausüben) und 7 (behinderte Menschen, die in Werkstätten für behinderte Menschen oder in Blindenwerkstätten beschäftigt werden) zu streichen wären, denn auch hier dient die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nicht primär der Erledigung von Aufgaben der Krankenkassen oder des MDK. Selbst die zentrale Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zur Vorlage beim Arbeitgeber, um Ansprüche auf Lohnfortzahlung im Krankheitsfall geltend zu machen, könnte nach der Logik der Ablehnung nicht mehr Gegenstand der Arbeitsunfähigkeitsrichtlinie sein.
Berlin, 25.10.2011
i. A.
Dr. rer. nat. Ulrich Zorn, MPH
Bereichsleiter im Dezernat 3
- Weitere Informationen zur Veröffentlichung des Gemeinsamen Bundesausschusses:
www.g-ba.de/informationen/beschluesse/1517/