Westfalen-Lippe: Ärztekammer fordert die Einrichtung eines Kinderschutzbeauftragten auf Landesebene und eine „konzertierte Aktion Kinderschutz“ – Kinder besser vor sexuellem Missbrauch schützen

Münster - Die Kammerversammlung der Ärztekammer Westfalen-Lippe (ÄKWL) hat in ihrer heutigen Sitzung die Einrichtung eines Kinderschutzbeauftragten auf Landesebene gefordert. Der NRW-Kinderbeauftragte soll auf institutioneller Ebene alle Möglichkeiten der Prävention und Sensibilisierung für das Thema „Sexueller Missbrauch von Kindern und Kinderpornografie“ nutzen und die neben dem Jugendamt bestehenden Hilfeangebote stärker miteinander vernetzen. Es müsse in Nordrhein-Westfalen eine unabhängige Stelle geben, an die sich jeder Bürger auch anonym bei einem Verdacht auf sexuellen Missbrauch wenden kann. Das Parlament der westfälisch-lippischen Ärzteschaft sieht bei der Prävention gegen sexuellen Missbrauch von Kindern noch erheblichen Handlungsbedarf und plädiert in einer einstimmig angenommenen Resolution für eine „konzertierte Aktion Kinderschutz“.

„Lügde, Bergisch Gladbach und jetzt Münster, die Zahl der entdeckten Fälle von oft jahrelangem sexuellem Missbrauch von Kindern nimmt zu“, so Kammerpräsident Dr. Hans-Albert Gehle. Kindesmisshandlung und kinderpornografisches Material gebe es in allen sozialen Verhältnissen. Inzwischen verbreiteten nicht nur Erwachsene aller Bevölkerungsschichten, sondern auch immer mehr Kinder und Jugendliche über ihre Smartphones kinderpornografisches Material. Trotz Bundeskinderschutzgesetz und der Einrichtung sogenannter Frühwarnsysteme in allen Bundesländern hätten Kinder noch immer keine verfassungsrechtlich gesicherten Rechte. Elternrecht gehe immer noch vor Kinderrecht, kritisiert die Resolution der ÄKWL. „Die Ärztekammer Westfalen-Lippe sieht Kinderschutz in der Priorität vor dem Elternrecht, vor Datenschutz und grenzenlos pädagogischem Optimismus“, so Gehle. Auch müsse der Opferschutz Vorrang haben vor dem Täterschutz.

Verletzungen der Kinder durch körperliche, seelische Gewalt und Vernachlässigung seien ein Verbrechen und kein Vergehen, postuliert die Kammerversammlung der ÄKWL. Oft bleibe die Gewalt gegen Kinder unerkannt, weil sie im sogenannten geschützten Raum passiere. Anamnese, Ermittlung, Fallverstehen und Prognose erforderten in Kinderschutzfällen eine gute Ausbildung und genug Zeit. Die Aufgabe der Kammer bestehe darin, dass für alle Gesundheitsberufe, die mit Kindern und Jugendlichen unterwegs sind, Pflichtfortbildungen möglich gemacht werden, um mehr Information sowie bessere Wahrnehmung und Mut zu ermöglichen.

Die Kammerversammlung der Ärztekammer Westfalen-Lippe fordert daher eine konzertierte Aktion „Kinderschutz“, die folgende Forderungen beinhalten soll:

  1. Wir fordern auf Landesebene einen Beauftragten für den Kinderschutz, der auf institutioneller Ebene alle Möglichkeiten der Prävention und Sensibilisierung für das Thema „Sexueller Missbrauch von Kindern und Kinderpornografie“ nutzt und die neben dem Jugendamt bestehenden Hilfeangebote stärker miteinander vernetzt und ihren Bekanntheitsgrad erhöht. Es muss in Nordrhein-Westfalen eine unabhängige Stelle geben, an die sich jeder Bürger auch anonym bei einem Verdacht auf sexuellen Missbrauch wenden kann.
  2. Wir fordern für jedes Jugendamt einen 24 Stunden erreichbaren Ansprechpartner, der im Vorfeld, ohne die Polizei einzuschalten, Verdachtsfälle prüft.
  3. Kinderschutz muss auch unserer Meinung nach Priorität vor dem Elternrecht, vor Datenschutz und grenzenlos pädagogischen Optimismus haben. Dafür wird die Ärztekammer Westfalen-Lippe zusammen mit der Akademie berufsgruppenübergreifend mehr Pflichtfortbildungen zum Thema Kindeswohlgefährdung und Kindesmisshandlung anbieten. Hierdurch soll die Zusammenarbeit vom Gesundheitswesen mit Jugendhilfe, Kindergärten, Schulen, Sportvereinen, Behinderteneinrichtungen gefördert werden.
  4. Kinderschutz muss auch verpflichtender Inhalt der neuen Weiterbildungsordnung für alle Arztgruppen werden, die sich mit der Versorgung von Kindern und Jugendlichen und deren Eltern beschäftigen.
  5. Wir fordern Aufnahme der Kinderrechte in das Grundgesetz und Unterstützung der medizinischen Fachgesellschaften (steht im Koalitionsvertrag 2018, sollte bis Ende 2019 verabschiedet sein).
  6. Wir brauchen eine einprägsame öffentlichkeitswirksame Aktion, um das Umfeld, in dem sich Kinder regelmäßig bewegen, wie z. B. Nachbarn, Kitas, Schulen oder Sportvereine, stärker für die Anzeichen sexuellen Missbrauchs zu sensibilisieren und darauf hinzuweisen, wann man an Kindesmissbrauch denken muss.
  7. Der Digitalpakt für Schulen darf nicht dazu führen, dass Kinder- und Internetpornografie in Schulen und Bildungseinrichtungen für die Schüler dort verfügbar sind. Es ist wissenschaftlich erwiesen, dass hoher Pornografiekonsum den Konsum von Kinderpornografie und sexuelle Übergriffe an Kindern fördert.

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