Benzodiazepine und Benzodiazepinanaloga (Z-Substanzen)

  • 1. Wie hat sich die Verschreibung der Benzodiazepine und Benzodiazepinanaloga (Z-Substanzen) in den letzten Jahren entwickelt?

    Die ambulante Verordnung zulasten der GKV ist in den letzten zehn Jahren (2010 bis 2019) zurückgegangen, von 39 auf 13 Millionen definierte Tagesdosierungen (DDD) bei den Benzodiazepinen und von 81 auf 65 Millionen bei den Z-Substanzen. Es wird aber befürchtet, dass ein großer und zunehmender Anteil der Benzodiazepine auch für gesetzlich Versicherte auf Privatrezepten verordnet wird. Hierüber und über die Krankenhausverordnungen liegen keine Statistiken vor.


  • 2. Was ist bei der Verschreibung zu beachten?

    Das häufigste Verschreibungsproblem ist eine langfristige Verordnung aufgrund von chronischen Schlafstörungen oder innerer Unruhe. Außer in spezifischen Ausnahmesituationen (etwa final erkrankte Patienten) sind Benzodiazepine und Z‑Substanzen nur zur Behandlung akuter und vorübergehender Störungen für einen begrenzten Zeitraum von 8 bis 14, maximal 28 Tagen indiziert.

    Grundsätzlich sei bezüglich der Verordnung von Benzodiazepinen und Z-Substanzen auf die 5-K-Regel der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) hingewiesen:

    1. Einsatz nur bei klarer Indikation
    2. Anwendung der kleinsten möglichen Dosis
    3. Anwendung über den kürzesten möglichen Zeitraum
    4. Kein abruptes Absetzen
    5. Kontraindikationen sind zu beachten

  • 3. Wie ist das Abhängigkeitspotenzial der Benzodiazepine und Benzodiazepinanaloga (Z-Substanzen) zu bewerten?

    Das Abhängigkeitspotenzial ist hoch. Entgegen der ursprünglichen Hoffnung ist es auch für die Z-Substanzen nicht relevant geringer. Benzodiazepine und Z-Substanzen sind die führenden Medikamente bei Medikamentenabhängigkeit.


  • 4. Wie lassen sich für Benzodiazepine und Benzodiazepinanaloga (Z Substanzen) Anzeichen für einen schädlichen oder abhängigen Konsum feststellen?

    Verdacht auf einen schädlichen oder abhängigen Konsum besteht,

    • wenn der Patient/die Patientin regelmäßig die Verordnung einfordert,
    • wenn die (exakt zu dokumentierende und zu kontrollierende) Verordnungsmenge auf eine Dosissteigerung hinweist,
    • wenn der Patient den Arztkontakt und damit die mögliche Diskussion um die Fortsetzung der Verschreibung meidet und sich das Rezept zuschicken lassen oder es lediglich beim Praxispersonal abholen möchte,
    • wenn sich Entzugssymptome erfragen lassen (wie innere Unruhe, Schlaflosigkeit, Herzrasen, Ängstlichkeit),
    • wenn der Patient auf Befragen angibt, den Konsum vor der Familie oder anderen zu verheimlichen,
    • wenn sich Hinweise ergeben, dass der Patient sich Rezepte von verschiedenen Ärzten ausstellen lässt oder gezielt verschiedene Apotheken aufsucht, damit Ausmaß und Regelmäßigkeit der Einnahme nicht auffallen,
    • gerade bei Benzodiazepinen gibt es das Phänomen einer Niedrigdosisabhängigkeit (low dose dependency), bei der es nicht zu Dosissteigerung und Toleranzentwicklung kommt.

  • 5. Gibt es Besonderheiten, die bei Kindern und Jugendlichen zu beachten sind?

    Bei Kindern und Jugendlichen ist die Indikation noch strenger zu stellen als bei Erwachsenen, weil hier das Risiko einer Abhängigkeitsinduktion noch höher ist.


  • 6. Welche Behandlungsalternativen stehen für Benzodiazepine und Benzodiazepinanaloga (Z-Substanzen) zur Verfügung?

    Indikation Schlafstörungen

    Für die Indikation Schlafstörungen stehen zahlreiche Alternativen zur Verfügung. Schlafstörungen sollten vorrangig nicht-medikamentös behandelt werden. Hierfür stehen einfache und hochwirksame Strategien zur Verfügung:

    • Klärung der Tagesbefindlichkeit

    Beeinträchtigungen des Nachtschlafes allein sind zumeist kein Behandlungsgrund. Es gibt keine Normwerte für eine Mindestschlafdauer, das physiologische Schlafbedürfnis und ‑muster ist inter- und intraindividuell sehr variabel. Eine Behandlungsindikation erwächst vorrangig, wenn eine Beeinträchtigung der Tagesbefindlichkeit, insbesondere beeinträchtigende Müdigkeit oder imperative Einschlafneigung, resultiert. Wird nur nächtliches Wachliegen beklagt, ist dem durch eine Verkürzung der Bettzeit gemäß der unten formulierten Schlafhygieneregeln zu begegnen.

    • Ursachenabklärung

    Eine Abklärung häufiger Ursachen ist vor der Einleitung unspezifischer Therapiemaßnahmen vorzunehmen, damit ggf. die zugrundeliegende Erkrankung spezifisch behandelt werden kann. Häufige, spezifisch zu behandelnde Ursachen von Schlafstörungen sind:

    • falsches Schlafverhalten (siehe unten)
    • Depression
    • Angsterkrankungen
    • Abhängigkeitserkrankungen
    • eginnende Demenz
    • Schmerzen
    • Schlafapnoesyndrom
    • Restless legs
    • unerwünschte Arzneimittelwirkungen
    • Schlafhygiene (Behandlungsmaßnahme der ersten Wahl)

    Die Mehrzahl der Patientinnen/Patienten mit Schlafstörungen zeigt tags und nachts ein dysfunktionales Verhalten, durch das die Schlafstörungen hervorgerufen oder verstärkt werden. Sowohl bei Schlafstörungen im Rahmen der oben genannten Grunderkrankungen, vor allem aber bei primärer Insomnie ist die Behandlungsmaßnahme der Wahl die Psychoedukation des Patienten/der Patientin und die Anleitung zu einem förderlichen Verhalten. Die beiden häufigsten von nicht-informierten Patienten gemachten Fehler sind eine

    • zu frühe Schlafengehzeit/zu lange nächtliche Bettzeit („dem Schlaf eine Chance geben“) und
    • Hinlegen tagsüber („Kompensation für das nächtliche Defizit“).

    Die Hauptwirkprinzipien von Schlafhygiene sind dementsprechend

    • eine Verkürzung der Bettzeit, damit sich ein ausreichender Schlafdruck aufbaut,
    • das Vermeiden von Hinlegen tagsüber,
    • das konsequente Verlassen des Betts und des Schlafzimmers (auch mitten in der Nacht), wenn nicht geschlafen werden kann, mit der Rückkehr ins Bett erst, wenn Müdigkeit verspürt wird. Hierdurch werden im Sinne einer Konditionierung das Bett und das Schlafzimmer mit dem Schlaf gekoppelt.

    Gute Übersichten fassen die Schlafhygieneregeln zusammen und sollen ausgehändigt werden. Es genügt aber nicht das bloße Überlassen der Regeln; vielmehr müssen diese mehrfach besprochen werden. Hierbei ist darauf zu achten, ob die Regeln verstanden wurden, ob der Patient sie akzeptieren kann und welche Umsetzungshindernisse er oder sie eventuell sieht. Im weiteren Behandlungsverlauf muss regelmäßig evaluiert werden, wie konsequent der Patient die Regeln anwendet. Typischerweise umfassen die Regeln ungefähr folgende Punkte, die auch die oben genannten Hauptwirkprinzipien beinhalten:

    • Legen Sie sich nur dann schlafen, wenn Sie wirklich schläfrig sind und sich bereit für den Schlaf fühlen.
    • Stehen Sie jeden Morgen um die gleiche Zeit auf – unabhängig davon, wie viel Schlaf Sie in der Nacht erhalten haben oder wie ausgeruht Sie sich fühlen.
    • Machen Sie tagsüber kein Nickerchen.
    • Trinken Sie spätestens zwei Stunden vor dem Schlafengehen keinen Alkohol mehr.
    • Trinken Sie später als sechs Stunden vor dem Schlafengehen kein Koffein mehr (Kaffee, Tee, Cola).
    • Falls Sie rauchen, versuchen Sie dies einige Stunden vor dem Schlafengehen zu unterlassen.
    • Strengen Sie unmittelbar vor dem Schlafengehen Ihren Körper nicht mehr in besonderem Ausmaß an.
    • Schaffen Sie sich eine Schlafumgebung, die Ihren Schlaf fördert.
    • Sind Sie es gewohnt, nehmen Sie vor dem Schlafengehen einen kleinen Imbiss zu sich, um späteren Hunger vorzubeugen.
    • Benutzen Sie Ihr Schlafzimmer und Ihr Bett ausschließlich für Aktivitäten, die mit Schlafen zu tun haben (einzige Ausnahme von der Regel sind sexuelle Aktivitäten).
    • Richten Sie sich einen regelmäßigen Zubettgeh-Ritus ein, der die Nähe der baldigen Bettzeit ankündigt.
    • Wenn Sie ins Bett gehen, schalten Sie das Licht mit der Absicht aus, einzuschlafen. Wenn Sie feststellen, dass Sie nicht innerhalb einer kurzen Zeit einschlafen können, stehen Sie auf und gehen in einen anderen Raum. Bleiben Sie so lange auf, bis Sie sich müde fühlen, und kehren Sie erst dann zum Schlafen ins Schlafzimmer zurück.
    • Falls Sie immer noch nicht eingeschlafen sind oder in der Nacht aufwachen und wachliegen, wiederholen Sie den vorherigen Schritt.
    • Sehen Sie nachts nicht auf die Uhr. Stellen Sie z. B. den Wecker unter das Bett.

    Bei Einschlafstörungen sind Audiodateien/CDs wirksam, die mit schlaffördernder Musik, Schlafinstruktionen und hypnotherapeutischen Techniken arbeiten.

    Wenn diese Maßnahmen ausgeschöpft und unzureichend sind und doch die Indikation für eine pharmakologische Behandlung gestellt wird, stehen folgende medikamentöse Alternativen zur Behandlung von Schlafstörungen, Ängstlichkeit und innerer Unruhe zur Verfügung, die kein Suchtpotenzial haben. Die Verordnung eines schlaffördernden Medikaments sollte aber nie die alleinige Behandlung sein; insbesondere die Maßnahmen der Schlafhygiene sind weiterhin umzusetzen.

    • niedrigpotente Neuroleptika wie Pipamperon oder Melperon
    • sedierende Antidepressiva wie Mirtazapin, Trazodon, Mianserin oder Trimipramin, wobei deren Einsatz außerhalb einer depressiven Erkrankung aber off label ist. Diese können auch für längere Zeiträume verordnet werden. Bei Einsatz als reine Hypnotika sind häufig geringere Dosierungen als zur Depressionsbehandlung erforderlich, bei Mirtazapin etwa 7,5 oder 15 mg zur Nacht.
    • Melatoninpräparate werden häufig eingenommen, deren Wirksamkeit ist aber unsicher.

    Behandlungsalternativen bei Angst, Agitation und Unruhe

    Für die Behandlung von Angst, Agitation und Unruhe stehen als Alternativen zu Benzodiazepinen Entspannungsverfahren, körperliche Aktivität, psychotherapeutische Basisstrategien und Richtlinien-Psychotherapie zur Verfügung. Zur längerfristigen medikamentösen Behandlung von Angsterkrankungen sind verschiedene Antidepressiva zugelassen, die kein den Benzodiazepinen vergleichbares Abhängigkeitspotenzial haben. Wenn zur Akutbehandlung ein Medikament unverzichtbar ist, kommen als pharmakologische Alternativen niedrigpotente Neuroleptika und sedierende Antidepressiva in Betracht (Substanzbeispiele: siehe oben).


  • 7. Wie sollte eine suchtpräventive Verschreibung der Benzodiazepine und Benzodiazepinanaloga (Z-Substanzen) erfolgen?
    • Aufklärung über Abhängigkeitsgefahr
    • nur bei akuter Belastung für 8 bis 14 (28) Tage
    • Behandlungsziel definieren und überprüfen
    • mittellang wirksame Benzodiazepine/-analoga als Hypnotika
    • Der Arzt/die Ärztin bestimmt Präparat, Dosis, Dauer, Uhrzeit (hier eher nicht partizipative Entscheidungsfindung) und auch die Beendigung der Medikation.
    • Besser feste Verordnung als „bei Bedarf“. Die oft gut gemeinte Empfehlung, das Medikament nur einzunehmen, „wenn es gar nicht anders geht“, fördert eher eine Suchtentwicklung, da der Patient/die Patientin angeleitet wird, das eigene Befinden besonders aufmerksam zu beobachten und es anschließend durch die Einnahme einer Substanz zu steuern.
    • nicht bei Patienten mit Abhängigkeitserkrankungen in der Vorgeschichte (nachfragen!)
    • genaue Dokumentation der Verordnungsmengen
    • falls stationär begonnen: rechtzeitig vor Krankenhaus-Entlassung absetzen (nicht dem ambulanten Arzt/der ambulanten Ärztin überlassen), bzw. im Entlassbrief explizit auf die geplante Endigung der Medikation hinweisen

  • 8. Welche Behandlung einer Abhängigkeit von Benzodiazepinen und Benzodiazepinanaloga (Z-Substanzen) kann ambulant durchgeführt werden? Wann sollte eine stationäre Überweisung bzw. Weiterbehandlung erfolgen?

    Ein langsames, schrittweises Ausschleichen begleitet von suchttherapeutischen Interventionen und alternativer Behandlung der zugrunde liegenden Symptomatik kann bei den meisten Patienten ambulant durchgeführt werden. Hiervon abzuraten und die Indikation für eine stationäre Entzugsbehandlung zu stellen ist

    • bei Patienten mit epileptischen Anfällen oder Delirien in der Vorgeschichte oder erhöhten Risiken für diese Entzugskomplikationen,
    • bei Patienten, die ein ambulantes Ausschleichen nicht zuverlässig schaffen oder hiermit bereits gescheitert sind und
    • bei Patienten, mit denen keine ausreichend verlässlichen Absprachen möglich sind oder keine ausreichende Vertrauensbasis aufgebaut werden kann, dass die besprochene Dosisreduktion und schlussendliche Abstinenz auch umgesetzt werden (etwa Sorge, dass weitere Bezugsquellen für das Medikament genutzt werden).