Für ein gleichermaßen solides wie solidarisches Gesundheitswesen

129. Deutscher Ärztetag

Der 129. Deutsche Ärztetag hat die Bundesregierung in einem mit großer Mehrheit gefassten Beschluss aufgefordert, wichtige Reformen für ein zukunftsfähiges Gesundheitswesen jetzt umzusetzen.

Der 129. Deutsche Ärztetag hat die Bundesregierung in einem mit großer Mehrheit gefassten Beschluss aufgefordert, wichtige Reformen für ein zukunftsfähiges Gesundheitswesen jetzt umzusetzen. Das Gesundheitswesen stehe angesichts der demografischen Entwicklung der Bevölkerung, des zunehmenden Fachkräftemangel, begrenzter finanzieller Ressourcen sowie globalen Bedrohungen vor massiven Herausforderungen. Der Erhalt eines freiheitlich geprägten und zugleich solidarischen Gesundheitswesens erfordere mutige Reformen in allen Versorgungsbereichen. Bund, Länder, Kommunen und die Akteure aus dem Gesundheitswesen müssten diese sofort angehen, um ein gleichermaßen solides wie solidarisches Gesundheitswesen für die kommenden Generationen zu sichern.

Der Beschluss im Wortlaut:

Die Gesundheitsversorgung in Deutschland steht angesichts der demografischen Entwicklung in der Bevölkerung, dem zunehmenden Fachkräftemangel, einer außerordentlich schwierigen finanziellen Lage der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung sowie globalen Bedrohungen vor massiven Herausforderungen. Der Erhalt eines freiheitlich geprägten und zugleich solidarischen Gesundheitswesens erfordert mutige Reformen in allen Versorgungsbereichen.

Die nachfolgenden Maßnahmen müssen Bund, Länder, Kommunen und die Akteure aus dem Gesundheitswesen jetzt angehen, um ein gleichermaßen solides wie solidarisches Gesundheitswesen für die kommenden Generationen zu sichern:

Gesundes Leben fördern

Der 129. Deutsche Ärztetag 2025 fordert die neue Bundesregierung auf, Krankheitsprävention und Gesundheitskompetenz ressortübergreifend zu fördern. Deutschland braucht eine nationale Public-Health-Strategie mit klaren Strukturen und Verfahren zur Zusammenarbeit von Bund, Ländern, Kommunen, Ärzteschaft und weiteren relevanten gesellschaftlichen Akteuren. Dazu zählt auch die Etablierung von gesunder Lebensführung und gesundheitsförderlichen Kompetenzen als verpflichtenden Bestandteil der frühen Bildung in Kindertageseinrichtungen sowie in den Lehr- und Lernplänen der allgemeinbildenden Schulen und Berufsschulen. Zudem müssen Kinder durch gezielte Werbeverbote vor dem übermäßigen Konsum zucker- und fetthaltiger Lebensmittel geschützt werden. Einweg-E-Zigaretten und Aromastoffe in E-Zigaretten sind zu verbieten. Zusätzliche zweckgebundene Abgaben, zum Beispiel auf Zucker, Alkohol und Tabak, sind der Gesundheitsversorgung zuzuführen.

Mehr Koordination in der Versorgung

In Deutschland werden Patientinnen und Patienten systembedingt mit der Organisation und Koordination ihrer Gesundheitsversorgung weitgehend alleingelassen. Folgen sind ein kaum gesteuerter Zugang und eine weitgehend unstrukturierte Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen. Der 129. Deutsche Ärztetag begrüßt deshalb, dass die neue Bundesregierung Impulse aus der Ärzteschaft und von weiteren Akteuren aus dem Gesundheitswesen für mehr Koordination und Steuerung in der Patientenversorgung in ihren Koalitionsvertrag aufgenommen hat. Damit eine solche Reform zu einem echten Erfolg wird, müssen alle betroffenen Akteure frühzeitig einbezogen werden. Dafür ist ein Runder Tisch „Versorgungssteuerung“ einzurichten, der die Reform vorbereitet und die Umsetzung begleitet. Ziel muss es sein, eine Patientensteuerung zu realisieren, die sich ausnahmslos nach den Kriterien einer medizinischen Notwendigkeit und eines medizinischen Nutzens ausrichtet.

Einfluss von Fremdinvestoren auf Medizinische Versorgungszentren (MVZ) begrenzen

Der 129. Deutsche Ärztetag stellt klar: MVZ sind eine sinnvolle Ergänzung der ambulanten Versorgungsstrukturen. Sie müssen vor Fehlentwicklungen durch den Einfluss von Finanzinvestoren geschützt werden. Dies gilt u. a. dann, wenn Fremdkapitalgeber durch Fokussierung auf besonders lukrative Leistungen sowie durch Monopol- und Oligopolbildungen primär darauf ausgerichtet sind, maximale Renditen zu erwirtschaften. Ärztinnen und Ärzte müssen Rahmenbedingungen vorfinden, die es ihnen ermöglichen, ihre Entscheidungen in Diagnostik und Therapie an medizinischen Kriterien und nicht an ökonomischen Maßgaben auszurichten. Der 129. Deutsche Ärztetag unterstützt deshalb die von der neuen Bundesregierung angekündigte gesetzliche Regulierung von investorenbetriebenen MVZ. Dafür hat die Bundesärztekammer konkrete gesetzliche Regelungsvorschläge ausgearbeitet, u. a. ein Verbot von Gewinnabführungs- und Beherrschungsverträgen, die Gewährleistung des örtlichen und fachlichen Bezugs eines Gründungskrankenhauses zum MVZ, die ausschließliche Zulassung fachübergreifender MVZ und die Herstellung von Transparenz über die Inhaberschaft eines MVZ. Die gesetzlichen Regelungen müssen zum einen Investitionen in Versorgungsstrukturen weiterhin ermöglichen, zum anderen aber gemeinwohlorientierte und die Interessen der Patientinnen und Patienten wahrende Rahmenbedingungen für diese Investments schaffen. Die aus Solidarbeiträgen generierten Mittel für die Patientenversorgung müssen vor einem Abfluss in internationale Finanzmärkte geschützt werden. Die ärztliche Freiberuflichkeit ist zu stärken, unabhängig davon, ob Ärztinnen und Ärzte wirtschaftlich selbstständig oder angestellt tätig sind.

Krankenhausreform weiterentwickeln, Krankenhausfinanzierung überarbeiten

Der 129. Deutsche Ärztetag unterstützt die Bereitschaft der neuen Bundesregierung, die Krankenhäuser finanziell zu stabilisieren, bis das Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz (KHVVG) umfänglich greift. Richtig sind auch die angekündigten erweiterten Kooperationsmöglichkeiten zwischen den Krankenhäusern sowie mehr Praktikabilität bei den bisher gesetzten Personal- und Strukturvorgaben für die Leistungsgruppen. Unbedingt erforderlich ist jedoch eine angemessene Berücksichtigung der ärztlichen Weiterbildung bei der Krankenhausreform, u. a. indem Verbundstrukturen gestärkt und Hürden bei der Arbeitnehmerüberlassung abgebaut werden. Die Verankerung des ärztlichen Personalbemessungssystems (ÄPS-BÄK) im Rahmen der Krankenhausreform ist essenziell, da andernfalls Ärztinnen und Ärzte in Weiterbildung, die einen großen Anteil an der ärztlichen Personalbesetzung im Krankenhausbereich haben, gar nicht abgebildet sind. Vor diesem Hintergrund begrüßt der 129. Deutsche Ärztetag die Einleitung der Validierungsphase. Die Ärzteschaft unterstützt die vorgesehene Verlängerung der Konvergenzphase zu einer neuen Vergütungssystematik. Die bisher beschlossene Systematik verursacht einen massiven Bürokratieaufwand, ohne die bestehenden Fehlanreize der Vergütung nach Fallpauschalen zu korrigieren. Der 129. Deutsche Ärztetag rät deshalb dringend dazu, die entsprechenden Überarbeitungen nicht, wie im Koalitionsvertrag vorgesehen, erst im Jahr 2027 zu beginnen, sondern sofort. Für die Überarbeitung der Leistungsgruppensystematik ist mehr Zeit und Sorgfalt erforderlich, bevor die Länder verbindliche Zuweisungen vornehmen.

Für eine echte Entbudgetierung aller Facharztgruppen

Die nachhaltige Sicherung und Stabilisierung der ambulanten Versorgung erfordert, dass erbrachte Leistungen in allen Facharztgruppen auch tatsächlich vergütet werden. Deswegen muss der Entbudgetierung hausärztlicher und pädiatrischer Leistungen der Einstieg in die Entbudgetierung aller fachärztlichen Leistungen folgen. Der 129. Deutsche Ärztetag stellt klar: Bei der im Koalitionsvertrag angekündigten Prüfung einer Entbudgetierung von Fachärztinnen und Fachärzten in unterversorgten Gebieten darf es nicht allein um die Frage gehen, welche Kosten dadurch verursacht würden, sondern vor allem auch um die Frage, welche Verbesserung in der Patientenversorgung damit erreicht werden kann. Außerdem ist es notwendig, dass in einem nächsten Schritt die Entbudgetierung von Leistungen für Patientinnen und Patienten folgt, die den Fachärztinnen und Fachärzten im Rahmen der geplanten hausärztlichen Primärversorgung zugewiesen werden. Abgelehnt werden die im Koalitionsvertrag geplanten Abschläge für die fachärztliche Versorgung in formal überversorgten Gebieten. Diese Planung ignoriert, dass die Bedarfsplanung veraltet ist, und insbesondere in Großstädten viele Patienten des Umlands mit versorgt werden, die oftmals in anderen Bedarfsplanungsbereichen wohnen.

Entbürokratisierung zur Priorität machen - Bürokratie-Task-Force einrichten

Unnötige Bürokratie belastet die Beschäftigten im Gesundheitswesen und schadet der Patientenversorgung in Deutschland. Der 129. Deutsche Ärztetag appelliert deshalb an die neue Bundesregierung, den im Koalitionsvertrag angekündigten Entbürokratisierungsmaßnahmen jetzt konkrete Taten folgen zu lassen. Zur Vorbereitung des vorgesehenen Entbürokratisierungsgesetzes ist eine Bürokratie-Task-Force aus Politik und Selbstverwaltung einzurichten, die die bereits zahlreich vorliegenden Einzelvorschläge zum Bürokratieabbau auswertet, damit der Bürokratieabbau rasch konkret umgesetzt werden kann. Darüber hinaus unterstützt der 129. Deutsche Ärztetag die Ankündigung der neuen Bundesregierung, eine Bagatellgrenze für Krankenkassenprüfungen im ambulanten Bereich einzuführen. Im stationären Bereich muss insbesondere das KHVVG von unnötiger Bürokratie entschlackt werden, die insbesondere durch die aktuelle Ausgestaltung der geplanten Vergütungsreform entsteht.

Nachwuchs fördern, Fachkräfte sichern

Für die Zukunftsfähigkeit des deutschen Gesundheitssystems ist neben tiefgreifenden strukturellen Reformen die Sicherung der Fachkräftebasis elementar. Der 129. Deutsche Ärztetag betont: Um junge Ärztinnen und Ärzte für die unmittelbare Patientenversorgung zu gewinnen, muss die lange angekündigte Reform der ärztlichen Approbationsordnung (ÄApprO), die auch eine engere Verzahnung von praktischen und grundlagenwissenschaftlichen Inhalten sowie die Stärkung der Allgemeinmedizin vorsieht, endlich umgesetzt werden. Die Zulassungsvoraussetzungen für das Medizinstudium sind so weiterzuentwickeln, dass zukünftig mehr Schulabsolventinnen und -absolventen auch ohne Einser-Abitur ein Medizinstudium in Deutschland beginnen können, statt dafür ins Ausland abwandern zu müssen. Ebenfalls zur Nachwuchsförderung würde beitragen, die ärztliche Weiterbildung in der Verantwortung der Landesärztekammern und der Bundesärztekammer zu stärken, indem diese angemessen finanziert wird. Ärztinnen und Ärzte in Weiterbildung leisten einen wesentlichen Beitrag zur Versorgung der Bevölkerung, der vollumfänglich vergütet werden muss. Zudem ist der mit der Weiterbildung einhergehende strukturelle und personelle Aufwand – etwa in Gestalt einer Weiterbildungspauschale – zu berücksichtigen. Um Ärztinnen und Ärzte dauerhaft in der Patientenversorgung zu halten, sind Politik und Kostenträger aufgefordert, für attraktive sowie familienfreundliche Rahmenbedingungen ärztlicher Tätigkeit zu sorgen. Es müssen flächendeckend ausreichend und an die ärztlichen Dienstzeiten angepasste Kinderbetreuungseinrichtungen zur Verfügung stehen. Arbeitgeber sind aufgefordert, eine familienfreundliche Arbeitskultur zu schaffen, die es Vätern wie Müttern gleichermaßen ermöglicht, Elternzeit ohne negative Folgen für die berufliche Entwicklung in Anspruch zu nehmen. Ebenso legen Ärztinnen und Ärzte Wert auf eine enge Zusammenarbeit mit anderen Berufsgruppen im Gesundheitswesen und auf die Arbeit im Team. Damit diese Teamarbeit erfolgreich gestaltet werden kann, ist es wichtig, dass die verschiedenen Qualifikationen, Aufgaben und Verantwortlichkeiten klar festgelegt werden - immer unter Berücksichtigung der Vorbehaltsaufgaben und der ärztlichen Kernkompetenzen. Auf dieser Grundlage können und sollten interdisziplinäre, multiprofessionelle und ganzheitliche Ansätze für Behandlung und Betreuung entwickelt werden. Darüber hinaus muss Fachkräftesicherung auch diejenigen in den Blick nehmen, die am Ende ihres Berufslebens stehen. Umfragen zeigen, dass viele Ärztinnen und Ärzte im Ruhestandsalter bereit sind, sich weiterhin in die Patientenversorgung einzubringen, sofern die Rahmenbedingungen stimmen. Erweiterte Steuerfreibeträge auf Gehälter, wie im Koalitionsvertrag von Union und SPD angekündigt, sowie Freistellungen von der Sozialversicherungspflicht können entsprechende Anreize bilden.

Für einen nutzenbringenden Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) in der Medizin

KI hat das Potenzial, die Patientenbehandlung deutlich zu verändern, die Effizienz im Gesundheitswesen zu steigern und die medizinische Forschung entscheidend voranzutreiben. Schon heute helfen KI-Systeme beispielsweise bei der Analyse von bildgebender Diagnostik und ermöglichen passgenauere Therapien. In der Forschung kann KI durch die Analyse großer Datenmengen wesentlich dazu beitragen, die Entwicklung neuer Wirkstoffe zu beschleunigen und potenzielle Arzneimittelkandidaten zu identifizieren. Gleichzeitig ist beim Einsatz von KI-Technologien eine sorgfältige Abwägung in Bezug auf Datenschutz, Sicherheit, Verantwortlichkeiten und Auswirkungen auf ein vertrauensvolles Patienten-Arzt-Verhältnis unerlässlich. So erfordert die Implementierung von KI in der Medizin klare ethische Leitlinien, verlässliche rechtliche Rahmenbedingungen und eine kontinuierliche kritische Reflexion über Möglichkeiten und Grenzen dieser Technologie. Der 129. Deutsche Ärztetag betont: Die Ärzteschaft wird darauf hinwirken, dass diese neuen Technologien nutzenbringend eingesetzt werden.

Den Öffentlichen Gesundheitsdienst nachhaltig sichern

Der 129. Deutsche Ärztetag fordert die neue Bundesregierung auf, den im Jahr 2020 geschlossenen Pakt für den Öffentlichen Gesundheitsdienst über das Jahr 2026 hinaus fortzuführen. Mit den zusätzlichen finanziellen Mitteln des Pakts konnten viele wichtige personelle, administrative und technische Verbesserungen für die Gesundheitsämter erreicht werden. Um die Qualität der Entscheidungsprozesse u. a. in Bereichen wie Infektionsschutz, Hygiene, Gesundheitsberichterstattung, Kinder- und Jugendgesundheitsdienst, Prävention und Gesundheitsförderung zu gewährleisten, ist zudem sicherzustellen, dass die Gesundheitsämter in Deutschland immer von Ärztinnen und Ärzten mit ihrer spezifischen medizinischen Expertise geleitet werden.

Das Gesundheitswesen auf den Krisenfall vorbereiten

Angesichts wachsender globaler Bedrohungen, wie dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine, der grenzüberschreitenden Gesundheitsgefahren und den Folgen des Klimawandels, muss das Gesundheitswesen krisenresilient ausgestaltet werden. Gute Vorbereitung, ausreichende Vorhaltung von Arzneimitteln und Medizinprodukten, klar geregelte Zuständigkeiten und trainierte Abläufe sind dafür grundlegend. Zudem bedarf es der verlässlichen Absicherung und Diversifizierung von Lieferketten, einer robusten digitalen Infrastruktur sowie einer nachhaltigen Sicherung der Fachkräfteverfügbarkeit. Verbessert werden muss die internationale Koordination zur Bewältigung grenzüberschreitender Gesundheitsgefahren. Der 129. Deutsche Ärztetag stellt fest: In Deutschland besteht in nahezu allen diesen Bereichen erheblicher Nachholbedarf. Bund und Länder sind gefordert, gemeinsam mit der Ärzteschaft und weiteren relevanten Akteuren eine umfassende Resilienzstrategie für das Gesundheitswesen zu entwickeln, die die erforderlichen Umsetzungsschritte mit klaren Fristen unterlegt, die jeweiligen Zuständigkeiten zuweist und die Finanzierung sichert.