Gitter: Gesetzgeber muss Ärztinnen und Ärzte vor Anfeindungen durch Abtreibungsgegner schützen

Berlin - Seit einem Jahr können sich Ärztinnen und Ärzte sowie Krankenhäuser und wei­tere Einrichtungen, die Schwangerschaftsabbrüche unter Voraussetzung des Paragrafen 218a durchführen, auf eine öffentliche Liste der Bundes­ärzte­kammer (BÄK) aufnehmen lassen. In ihrer Zwischenbilanz im Deutschen Ärzteblatt fordert BÄK-Vizepräsidentin Dr. Heidrun Gitter den Gesetzgeber auf, Ärztinnen und Ärzte besser vor aggressiven Abtreibungsgegnern zu schützen. „Frauen müssen in allen Belangen rund um einen Schwangerschaftsabbruch unterstützt werden“, so Gitter. „Wer den Frauen diese Möglichkeit anbietet, der darf nicht angefeindet oder in eine Schmuddelecke gestellt werden.“

Frau Dr. Gitter, wie hoch ist bis­lang die Bereitschaft, sich auf diese Liste aufnehmen zu lassen?

Dr. Heidrun Gitter: Wir haben nach einem Jahr 327 Einträge auf der Liste. Am Anfang waren die Kolleginnen und Kollegen etwas zögerlich, dann stieg die Zahl der Ein­träge stark an.

Wir ermutigen laufend Ärztinnen und Ärzte, sich auch weiterhin in die Liste eintragen zu lassen. Insgesamt ist die Liste eine gute Möglichkeit, um auf die Leistungen rechtssicher aufmerksam zu machen.

Ob das nun alle Ärztinnen und Ärzte nutzen, die auch Abbrüche vornehmen, glaube ich nicht. Solange wir noch eine gute ambulante Versorgung haben, in der die Arzt-Patientenbeziehung gut ist, sagen viele Kollegen, sie haben ihren Kreis an Patientinnen, die wissen, dass sie mit Problemen kommen können. Das ist den einzelnen Kollegen dann auch genug und die lassen sich nicht eintragen.

Das Führen der Liste ist ja ein Auftrag des Bun­des­ge­sund­heits­mi­nis­ter­iums an die Bundes­ärzte­kammer. Welche Erfahrungen gibt es damit?

Gitter: Das Verfahren selbst hat sich etabliert, wir haben echte und verifizierte Meldun­gen. Wir geben die Möglichkeit, dass Ärztinnen und Ärzte rechtssicher angeben können, welche Abbruchverfahren sie anbieten. Um mehr Einträge auf die Liste zu bekommen, müssen andere Hindernisse aus dem Weg geräumt werden. Das liegt aber nicht in der Hand der Bundes­ärzte­kammer.

Es gab die Sorge von Ärztinnen und Ärzte, dass sie durch die Veröffentlichung ihrer Praxisdaten auf der Liste noch stärker in den Fokus von Abtreibungsgegnern kommen und entsprechende Drohungen – digital wie persönlich oder auf der Straße – erhalten. Sind diese Bedrohungen ein mögliches Hindernis?

Gitter: Es gibt keine Statistik zur Häufigkeit, aber es reicht schon, dass diese Bedrohung da ist. Wir haben diese Diskussion etwa analog zur Hass-Kriminalität im Internet und in den sozialen Medien. Dort kann man anonym beschimpfen, die Hemmschwelle ist gering. Das sehen wir auch in diesem Kontext. Es gibt natürlich auch Berichte, dass selbster­nann­te Lebensschützer auch persönlich vor den Praxen auftauchen. Beim Thema Hass-Kriminalität wäre es aus unserer Sicht sehr leicht für den Gesetzgeber, dies zu regeln.

Der Gesetzgeber ist gefragt, dass er Ärztinnen und Ärzte vor solchen Anfeindungen schützt. Denn es gibt einen Anspruch, dass im Rahmen der im § 218a beschriebenen Möglichkeiten eine Frau in einer Notlage straffrei einen Schwangerschaftsabbruch vornehmen lassen kann. Aber diese Möglichkeit muss ihr ja auch eröffnet werden, und zwar mit einer fachärztlichen Beratung.

Denn Fachärztinnen und Fachärzte für Frauenheilkunde und Geburtshilfe haben auch ein hohes Augenmerk auf die psychosomatische Versorgung der Frauen, die können die hor­monelle Situation der Frau bewerten sowie die Nachbehandlung betreuen. Das sind ja alles ärztliche Dinge, die in der Situation dazu gehören. Darauf hatten auch die Berufs­verbände der Gynäkologen aufmerksam gemacht.

Das Gesetz gegen Hasskriminalität wird derzeit im Justizministerium vorbereitet. Wie will sich die Bundes­ärzte­kammer dafür einsetzen, dass Ärztinnen und Ärzte bei der Ausübung ihrer legitimen beruflichen Tätigkeit besser geschützt werden?

Gitter: Der Schutz der Ärztinnen und Ärzte ist eine Forderung, die wir lauter stellen müss­en. Ich habe mich geärgert über den Vorstoß aus Baden-Württemberg, eine Einstellung von Ärztinnen und Ärzten mit einer Pflicht zur Vornahme einer Abtreibung zu versehen.

Ich glaube, das ist verfassungsrechtlich nicht zulässig. Das ist eine schwierige Einstellung von Politikern, die sich hier gezeigt hat. Politiker sollten eher die Möglichkeit nutzen, dass sie diejenigen beschützen, die es benötigen. Und zwar die Ärztinnen und Ärzte, die betroffene Frauen in einer schwierigen Notlage gut versorgen. Wir werden nachdrücklich fordern, dass man diesen Schutzraum per Gesetz herstellt und Ärzte besser schützt.

Wie sehen Sie die zukünftige Entwicklung der Liste sowie das sensible Thema eines Schwangerschaftsabbruches insgesamt?

Gitter: Einen Schwangerschaftsabbruch durchzuführen und Frauen in Notlagen zu helfen, ist ja legitim. Das muss auch klar und deutlich werden. Frauen müssen in allen Belangen rund um einen Schwangerschaftsabbruch unterstützt werden. Dafür fand ich die Erklärung der frauenärztlichen Berufsverbände sehr wichtig. Es ist ja nicht nur die Handlung, Beratung, Abtreibung. Man muss viel mehr Angebote machen. Dafür gibt es ja Fachärztinnen und Fachärzte für Frauenheilkunde.

Auch die Behauptung, ein Schwangerschaftsabbruch würde in der Weiterbildung nicht gelehrt, ist ja falsch. In der Medizinerausbildung gibt es die Grundlagen und in der Wei­ter­bildung Gynäkologie werden sämtliche Techniken sowie die Vor- und Nachbegleitung gelehrt und gelernt.

Daher würde ich mir wünschen: Wer den Frauen diese Möglichkeit anbietet, der darf nicht angefeindet oder in eine Schmuddelecke gestellt werden. Da fehlt mir die politische Initiative, das zu schützen. Der erste Schritt ist jetzt, dass der Gesetzgeber sich ganz klar hinter die Kolleginnen und Kollegen stellt und ich glaube, das würde die Bereitschaft erweitern, sich auf die Liste setzen zu lassen.