Westfalen-Lippe: Gehle kritisiert Druck und Tempo bei der Digitalisierung des Gesundheitswesens – Kammerversammlung: Die Einführung digitaler Anwendungen darf nicht mit Sanktionsandrohungen verbunden werden

Münster - Wenn der Digitalisierungsprozess im Gesundheitswesen erfolgreich vorangetrieben werden soll, muss die Politik grundsätzlich auf Druck und Sanktionen verzichten. Dies forderte der Präsident der Ärztekammer Westfalen-Lippe (ÄKWL), Dr. Hans-Albert Gehle, auf der heutigen Kammerversammlung der ÄKWL in Münster. „Bei allem Verständnis für die Absicht von Bundesgesundheitsminister Spahn, den Prozess voranzutreiben, muss man sich fragen, ob Tempo und Taktung nicht zu hoch sind“, so Gehle.  Die Digitalisierung des Gesundheitssystems sei zwar notwendig, denn „die Zeit der Zettelwirtschaft und Faxe muss der Vergangenheit angehören“. Aber Digitalisierung dürfe die im Gesundheitswesen Tätigen ebenso wie die Patientinnen und Patienten nicht überfordern. „Sie ist kein Wert an sich, kein Selbstzweck, sie muss vielmehr einen konkreten Nutzen und Verbesserungen für die Patientenversorgung bieten.“
 
Gehle sagte außerdem: „Die Einführung digitaler Anwendungen darf nicht mit Sanktionsandrohungen verbunden werden.“ Für die Streichung solcher Sanktionen hatte sich auch der Deutsche Ärztetag im Mai mit großer Mehrheit ausgesprochen. „Die Klarstellung von Minister Spahn, wo es objektiv nicht geleistet werden könne, solle es auch keine Sanktionen geben, begrüße ich. Aber mit Druck und Androhung von Sanktionen überzeugt man niemanden. Das gelingt nur mit funktionierenden Lösungen, die Ärzten und Patienten Nutzen bringen.“

Viele Anwendungen der Telematikinfrastruktur, wie der elektronische Heilberufsausweis oder das eRezept und die elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, seien „im wirklichen Leben noch gar nicht hinreichend erprobt“. Deshalb sei die Forderung des Deutschen Ärztetages richtig und nachvollziehbar, die Einführung der beiden letztgenannten Anwendungen mindestens um ein Jahr zu verschieben. Gehle: „Die Politik wäre gut beraten, Druck und Tempo bei der Digitalisierung etwas herauszunehmen. Dann ließen sich die Anwendungen in Ruhe in realen Versorgungsszenarien erproben und eben auch auftretende Schwächen und Hindernisse beheben. Davon hätten Ärzteschaft und Patienten etwas.“

Auch das Digitale-Versorgung-und-Pflege-Modernisierungs-Gesetz (DVPMG), das Anfang Mai vom Deutschen Bundestag verabschiedet wurde und Ende Mai auch den Bundesrat passiert hat, sieht Kammerpräsident Gehle kritisch. „Leider wird mit dem Gesetz insoweit ein Paradigmenwechsel eingeleitet, als die elektronische Gesundheitskarte (eGK) als Speicherort für Patientendaten durch zentrale Online-Speicher ersetzt werden soll.“ Auch hiergegen hatte sich der letzte Deutsche Ärztetag in Berlin massiv ausgesprochen. Die eGK in der Hand des Versicherten soll zukünftig nicht mehr als Speicherort für die Anwendungen Notfalldaten und elektronischer Medikationsplan nutzbar sein. Gehle: „Statt die eGK damit Stück für Stück zu entwerten, könnte ich mir sogar sinnvolle zusätzliche Anwendungen vorstellen. Warum kann nicht etwa die Information über eine vollständige Corona-Impfung dort abgelegt werden? Das würde doch vieles vereinfachen“, so der Kammerpräsident abschließend.

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