Trotz Änderung der (Muster-)Berufsordnung: Hilfe zur Selbsttötung weiterhin keine ärztliche Aufgabe

Medizin & Ethik

„[Ärztinnen und Ärzte] dürfen keine Hilfe zur Selbsttötung leisten“: Drei Stunden lang diskutierte der 124. Deutsche Ärztetag über diesen Satz im Paragrafen 16 der „(Muster-)Berufsordnung für die in Deutschland tätigen Ärztinnen und Ärzte“. Schließlich beschloss das Ärzteparlament, den Satz unter Berücksichtigung der in dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 26. Februar 2020 dargelegten Gründe zu streichen.

In ihrem Urteil hatten die Karlsruher Richter den Strafrechtsparagrafen 217 für nichtig erklärt. Das im Jahr 2015 eingeführte Verbot der geschäftsmäßigen Beihilfe zum Suizid ist damit kein geltendes Recht mehr. Der Suizidwillige habe ein Recht darauf, die Hilfe dazu bereiter Dritter in Anspruch zu nehmen, um die Selbsttötung durchführen zu können, erklärte das Gericht, wies aber zugleich darauf hin, dass niemand verpflichtet sei, Suizidhilfe zu leisten.

Obwohl die Berufsordnung nicht Gegenstand des Verfassungsgerichtsurteils war, sei die entsprechende Regelung in der (Muster-)Berufsordnung nicht mehr aufrechtzuerhalten, begründete das Ärzteparlament seine Entscheidung. Das ändere aber nichts an der „lebens- und gesundheitsorientierten Zielrichtung“ ärztlichen Handelns. Die Hilfe zur Selbsttötung zähle nicht zum Aufgabenspektrum von Ärzten.

„Als Ärzte sind wir dem Leben verpflichtet“, betonte auch Dr. Klaus Reinhardt, Präsident der Bundesärztekammer. Er warnte die Politik vor dem Versuch, Ärzte bei der Suizidassistenz zu sehr in die Verantwortung zu nehmen. „Patienten brauchen absolute Verlässlichkeit, dass es ihrem Arzt darum geht, Leiden zu lindern“, so Reinhardt.

Ärzteorganisationen nahmen die Entscheidung des Ärzteparlaments positiv auf. Als „zentrale Fachgesellschaft für psychische Gesundheit“ trage man den Beschluss „voll und ganz mit“, sagte Prof. Dr. Thomas Pollmächer, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde. Insbesondere die Suizidprävention müsse nun gesetzlich verankert und gestärkt werden. „Wir begrüßen die Klarstellung, dass die Mitwirkung an einem Suizid keine ärztliche Aufgabe ist“, erklärte Prof. Dr. Claudia Bausewein, Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin. Suizidassistenz müsse die absolute Ausnahme bleiben.

Die Gremien der Bundesärztekammer erarbeiten gegenwärtig Hinweise für Ärztinnen und Ärzte zum Umgang mit Suizidalität und Todeswünschen, wobei die Beschlüsse des Deutschen Ärztetages berücksichtigt werden.

Politische Entscheidung zur assistierten Sterbehilfe offen

Auch im Parlament ist das Thema angekommen. So debattierte der Deutsche Bundestag am 21. April 2021 zum ersten Mal über eine mögliche Neuregelung der Suizidbeihilfe. Vier Vorschläge liegen mittlerweile vor. Alle messen der Ärzteschaft zentrale Aufgaben bei der Sterbehilfe zu, ohne jedoch den einzelnen Arzt zur Teilnahme an der Sterbehilfe zu verpflichten. Das hatten auch die Karlsruher Richter ausgeschlossen.

In ihrem interfraktionellen „Entwurf eines Gesetzes zur Regelung der Suizidhilfe" betonen Katrin Helling-Plahr (FDP), Dr. Karl Lauterbach (SPD), Dr. Petra Sitte (Linke), Swen Schulz (SPD) und Otto Fricke (FDP), „dass die Hilfe zur Selbsttötung regelmäßig straffrei ist". Zugleich sollten Betroffene die „reale Möglichkeit" bekommen, ein Medikament zur Selbsttötung zu erhalten. Jeder sollte das Recht auf Hilfe zur Selbsttötung in Anspruch nehmen dürfen, der sich autonom und freiwillig dazu entschieden hat – also auch ein Gesunder, der nicht mehr weiterleben möchte, heißt es in dem Entwurf. Allerdings müssten jedem Suizidwilligen alle für die Entscheidung erheblichen Gesichtspunkte und Alternativen bekannt sein. Sicherstellen soll das ein Netz von behördlich anerkannten und von den Ländern organisierten Beratungsstellen.

Mindestens zehn Tage, spätestens aber acht Wochen nach der Beratung erfolge ein Aufklärungsgespräch, bei dem ein Arzt den Sterbewilligen mündlich über die „wesentlichen medizinischen Umstände" des Suizids sowie im Falle einer Erkrankung über Behandlungsmöglichkeiten und palliativmedizinische Angebote informiert. Letztendlich entscheidet dann der Arzt, ob er das todbringende Medikament verschreibt – vorausgesetzt, er ist „von der Dauerhaftigkeit und inneren Festigkeit des Sterbewunsches" überzeugt.

Einen anderen Ansatz wählen die beiden Grünen-Politikerinnen Renate Künast und Katja Keul in ihrem „Entwurf eines Gesetzes zum Schutz des Rechts auf selbstbestimmtes Sterben". Sie differenzieren darin zwischen Menschen, die den Tod aufgrund einer schweren Krankheit anstreben und solchen, die aus anderen Gründen sterben wollen.

In medizinischen Notlagen, die mit „schweren Leiden, insbesondere starken Schmerzen" verbunden sind, sollen Ärzte Medikamente zur Selbsttötung verschreiben dürfen – sofern sie davon überzeugt sind, dass der Sterbewillige eine vom freien Willen getragene, feste Entscheidung getroffen hat. Als Absicherungen sind unter anderem eine ärztliche Beratung, eine zweiwöchige Wartefrist, das Vier-Augen-Prinzip sowie eine Dokumentationspflicht vorgesehen.

Künast und Keul räumen ein, dass es „dem Selbstbild überwiegender Teile der Ärzteschaft eher fremd sein" dürfe, bei einer Tötung Hilfe zu leisten, „die nicht in einer Krankheit eines Patienten wurzelt". Faktisch könne diese Variante „ins Leere“ laufen, „weil die Ärzteschaft aus nachvollziehbaren Gründen nicht mitwirken will." Schon aus diesem Grund scheide auch eine Regelung der Gesamtproblematik im ärztlichen Berufsrecht aus.

Einen restriktiveren Weg wählt eine Abgeordnetengruppe, der unter anderem Ansgar Heveling (CDU), Kirsten Kappert-Gonther (Grüne) und der ehemalige Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) angehören. Nach ihrem Eckpunktepapier sollte die Selbstbestimmung durch umfassende Beratung und Begutachtung sichergestellt und mit Präventionsangeboten flankiert sein. Die „geschäftsmäßige Suizidhilfe“ soll erneut grundsätzlich strafbar, unter bestimmten Voraussetzungen aber „nicht unrechtmäßig“ sein. Das soll verhindern, dass der frei verantwortete Suizid und die Inanspruchnahme der Hilfe Dritter faktisch unmöglich werden, so die Autoren des Eckpunktepapiers.

Um festzustellen, ob die Entscheidung zum Suizid tatsächlich frei getroffen wurde, sollen mindestens zwei fachärztliche Untersuchungen mit hinreichendem Abstand notwendig sein. Hinzu komme eine Beratung über individuelle Hilfsangebote. Eine Suizidhilfe für Minderjährige schließt der Entwurf ebenso so aus wie einen Anspruch auf Hilfeleistung bei der Selbsttötung gegenüber Ärzten oder staatlichen Stellen. Ärzte dürften Sterbewilligen jedoch helfen, wenn sie das mit ihrem Gewissen und ihrem beruflichen Ethos vereinbaren können.

Das individuelle Selbstbestimmungsrecht steht im Mittelpunkt des „Diskussionsentwurfs“ aus dem Haus von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn. Der Entwurf sieht ein „abgestuftes Schutzkonzept“ vor. Damit soll sichergestellt werden, dass die zur Selbsttötung entschlossene Person selbstbestimmt entschieden hat und sich nicht in der Lebenskrise befindet oder psychisch krank ist. Vorgesehen ist ein grundsätzliches strafrechtliches Verbot der Hilfe zur Selbsttötung. Angehörige und dem Suizidwilligen nahestehende Personen blieben jedoch straffrei. Ausnahmsweise straflos soll die Hilfe zudem dann sein, wenn das abgestufte Schutzkonzept eingehalten wird. Dazu soll das Betäubungsmittelgesetz geändert werden.

Die Aufklärung, Beratung und die Feststellung von Erkrankungen soll durch zwei unabhängige Ärzte erfolgen, die jedoch keine Hilfe zum Suizid leisten dürfen. Geplant ist, die Details in einem „Selbsttötungshilfegesetz“ zu regeln.

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