Prof. Dr. med. Hans-Joachim Woitowitz

Die deutschen Ärztinnen und Ärzte ehren in Hans-Joachim Woitowitz einen Arzt, der sich in seiner klinischen und wissenschaftlichen Tätigkeit sowie mit seinem ehrenamtlichen Engagement herausragende Verdienste um das deutsche Gesundheitswesen und die Ärzteschaft erworben hat. Nahezu 30 Jahre lang leitete er das Institut und die Poliklinik für Arbeits- und Sozialmedizin der Universität Gießen. Sein Interesse galt vor allem der Prävention von Berufskrankheiten und speziell dem Thema „Krebsgefährdung der arbeitenden Bevölkerung“. Frühzeitig warnte er vor den Gefahren durch Asbest. Als ausgewiesener Experte war er Vorsitzender vieler Sachverständigengremien. Sein Name steht für eine kompetente Politikberatung durch die Ärzteschaft. Hans-Joachim Woitowitz hat sich um die ärztliche Versorgung der Bevölkerung, das Gesundheitswesen, die ärztliche Selbstverwaltung und um das Gemeinwohl in der Bundesrepublik Deutschland in hervorragender Weise verdient gemacht.
Hans-Joachim Woitowitz wurde am 18. Oktober 1935 in Allenstein in Ostpreußen als zweites von vier Kindern der selbstständigen Kaufleute Hermann und Hildegard Woitowitz geboren. Nach der Flucht lebte die Familie zunächst in Sachsen, dann in Westfalen. Die Abiturprüfung absolvierte Woitowitz 1955 an der Friedrich-von-Bodelschwingh-Schule in Bethel bei Biele-feld. Danach schrieb er sich für das Fach Humanmedizin ein und studierte in Marburg und in Köln, wo er 1960 erfolgreich sein Staatsexamen ablegte. Ein Jahr später wurde er zum Dr. med. promoviert. Seine Dissertation trägt den Titel „Über optische Phänomene bei der zyklothymen Depression“ und entstand unter Leitung von Professor Wolfgang De Boor, Klinik für Neurologie und Psychiatrie der Universität zu Köln.

Seine Zeit als Medizinalassistent absolvierte er am Klinikum der Universität zu Köln. Nachdem er 1963 die ärztliche Approbation erhalten hatte, begann er in der dortigen Medizinischen Klinik auch seine internistische Weiterbildung. In dieser Zeit war er unter namhaften Ordinarien wie Professor Hugo-Wilhelm Knipping und später Professor Rudolf Groß tätig, folgte dann im Jahr 1965 Professor Helmut Valentin, seinem wissenschaftlichen Lehrer, an das neu zu gründende Institut für Arbeits- und Sozialmedizin an der Universität Erlangen-Nürnberg. Zunächst als wissenschaftlicher Assistent, dann als Oberassistent war er hier zuständig für die Poliklinik für Berufskrankheiten. 1969 erwarb er die Facharztanerkennung für Innere Medizin sowie die Zusatzbezeichnung Arbeitsmedizin. Im gleichen Jahr erhielt er auch die erste große Anerkennung als Forscher: Er wurde mit dem E. W. Baader-Preis der Deutschen Gesellschaft für Arbeitsmedizin ausgezeichnet. Die Ehrung wurde ihm für die Arbeit „Zur Dynamik arterieller Blutgaswerte während dosierter Arbeitsbelastung im Hinblick auf die Begutachtung“ zuerkannt. Das Atemorgan des arbeitenden Menschen wurde somit schon früh ein Schwerpunkt seiner wissenschaftlichen Arbeit.

1971 habilitierte er sich und wurde Privatdozent für die beiden Fächer Arbeitsmedizin und Sozialmedizin. Für seine Habilitation „Arbeitsmedizinisch-epidemiologische Untersuchungen zu den unmittelbaren Gesundheitsgefahren durch Asbest“ wurde er erneut mit dem E. W. Baader-Preis ausgezeichnet. Frühzeitig erkannte er die Gefährlichkeit von Asbest und trug mit späteren Forschungen maßgeblich zur Aufklärung über die oftmals todbringenden Expositionen und zur Aufhellung der Dunkelziffer bei. Woitowitz erkannte eine arztethische Aufgabe darin, dass die Beschäftigten kaum selbst die existenzbedrohenden Krebsgefährdungen an ihren Arbeitsplätzen erkennen und sich entsprechend schützen können. Bereits 1973 erhielt er den Ruf als ordentlicher Professor für Arbeitsmedizin, später Professor für Arbeits- und Sozialmedizin im Zentrum für Ökologie des Klinikums der Justus-Liebig-Universität Gießen. Im November 1974 folgte er diesem Ruf und übernahm dort die Leitung des Instituts und der Poliklinik für Arbeits- und Sozialmedizin, die er bis zu seiner Emeritierung 2004 ausübte. 1978 erhielt er die Facharztanerkennung für Arbeitsmedizin, einige Jahre später erwarb er die Zusatzbezeichnung Sozialmedizin. Einen Ruf nach Köln 1979 lehnte er ab.

Die Arbeitsschwerpunkte des Gießener Instituts hat er maßgeblich und positiv geprägt. Seine Weggefährten beschreiben ihn als geachtete Arztpersönlichkeit, die den Kollegen immer mit Rat und Tat zur Seite stand und als einen Fachmann, der wesentliche Impulse zur Weiterentwicklung der Arbeitsmedizin geliefert hat. „Die hessischen Arbeitsschützer sind stolz, einen Professor Woitowitz zu haben und die Bundesregierung kann dankbar sein, über einen so kompetenten Berater zu verfügen“, sagte Gerd Krämer, damals Staatssekretär im hessi-schen Sozialministerium, im Jahr 2004 in einer Laudatio.

Tatsächlich war der Sachverstand von Woitowitz an vielen Stellen gefragt. 1983 wurde er nach zehnjähriger Mitgliedschaft Leiter der Arbeitsgruppe „Festlegung von Grenzwerten für Stäube“ der Senatskommission der Deutschen Forschungsgemeinschaft zur Prüfung gesundheitsschädlicher Arbeitsstoffe. Das Amt hatte er 20 Jahre lang inne und trug in dieser Funktion nicht unwesentlich zum definitiven Asbestverbot in Deutschland 1993 bei. Er engagierte sich in zahlreichen weiteren Expertengruppen und fungierte auf Landes- und Bundesebene als kompetenter Politikberater. Unter anderem war er langjähriger Vorsitzender der Sektion „Berufskrankheiten“ des Ärztlichen Sachverständigenbeirats beim Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung, stellvertretender Vorsitzender der Arbeitsgruppe „Krebsgefährdung am Arbeitsplatz“ des Gesamtprogramms zu Krebsbekämpfung beim Bundesministerium für Gesundheit, wissenschaftliches Vollmitglied des Ausschusses für Gefahrstoffe des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung sowie Vorsitzender des Sachverständigenkreises „Prävention im Arbeits- und betrieblichen Gesundheitsschutz“ beim Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie. Zudem war er Vorsitzender des interministeriellen Beirats der Zentralen Betreuungsstelle Wismut beim Hauptverband der gewerblichen Berufsgenossenschaften.

Großes Ansehen genoss er nicht nur in der Politik, sondern auch unter Wissenschaftlern. Von 1991 bis 2000 war er Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Arbeitsmedizin. Bereits 1987 wurde er Fellow des Collegium Ramazzini, New York/Bologna. Ferner engagierte er sich als Mitglied des Vorstands des Ramazzini Institute for Occupational and Envi-ronmental Health Research in Solomons, Washington, USA. Woitowitz ist Autor von mehr als 500 wissenschaftlichen Publikationen.
Ein wichtiges Anliegen war ihm stets die ärztliche Weiter- und Fortbildung. Dank seiner Bemühungen, junge Kollegen für sein
Fach zu begeistern, wurde 1978 die Hessische, später Hessisch-Thüringische Akademie für Betriebsmedizin, Arbeitsmedizin und Sozialmedizin in Bad Nauheim, gegründet. Viele Jahre war er Vorsitzender der Akademie, die später in die Akademie für Ärztliche Fort- und Weiterbildung der Landesärztekammer Hessen integriert wurde. In dieser wiederum engagierte er sich als Vorsitzender des Sektionsvorstandes Arbeitsmedizin. Auch in der ärztlichen Selbstverwaltung war Woitowitz aktiv: Als Gutachter und Prüfer wirkte er in den Weiterbildungsgremien der Landesärztekammer Hessen. Auf Bundesebene war er Mitglied der Ständigen Konferenz Arbeitsmedizin der Bundesärztekammer.
Für seinen unermüdlichen Einsatz erhielt er zahlreiche Auszeichnungen. Das sind neben der zweimaligen Verleihung des E. W. Baader-Preises das Bundesverdienstkreuz am Bande, die Ehrenplakette der Landesärztekammer Hessen in Silber, die Ernst-von-Bergmann-Plakette der Bundesärztekammer und der Ramazzini Award des Collegium Ramazzini New York/Bologna.

Auch mit 77 Jahren bleibt Woitowitz den von ihm angestoßenen Themen und Ideen verbunden. Ungebrochen ist sein Engagement für die ärztliche Weiter- und Fortbildung. Er geht weiterhin Vortragstätigkeiten nach. Auch trägt er dazu bei, dass Patienten, die berufsbedingt an oftmals todbringenden Erkrankungen leiden, ebenso wie ihre Hinterbliebenen, nicht ihre Rechte verlieren. Er ist als Sachverständiger für nahezu sämtliche Landessozialgerichte der Bundesrepublik tätig. Darüber hinaus unterstützt er die Verbände der Asbestopfer bei ihrem Eintreten für eine sachgerechte Anerkennung der Berufserkrankungen. Nicht zuletzt darin zeigt sich, wie wichtig ihm die moralische Verantwortung seines Faches ist: nach besten Kräften forschen, kompromisslos mahnen und die Patienten unterstützen. Er bekennt sich zu den Worten E. W. Baaders: „Es liegt eine tiefe Tragik darin, wenn der Mensch an der Stelle seiner Arbeit, wo er Brot und Lebenserwerb für sich und die Seinen erhofft, Siechtum und tödliche Krankheit findet“. Seit 54 Jahren ist er mit der Ärztin Dr. med. Rotraud Helga Woitowitz verheiratet. Er hat zwei Töchter und drei Enkelkinder.

116. Deutscher Ärztetag in Hannover, 28. Mai 2013
Vorstand der Bundesärztekammer
Präsident