Hessen: „Psyche und Körper gehören zusammen“

Runder Tisch der Landesärztekammer Hessen zur ärztlichen Psychotherapie

Frankfurt - „Psyche und Soma bilden eine Einheit: Das gehört zum ärztlichen Selbstverständnis“, erklärte Dr. med. Edgar Pinkowski, Präsident der Landesärztekammer Hessen (LÄKH), bei der gestrigen Eröffnung eines virtuellen Runden Tisches der LÄKH zur Bedeutung der ärztlichen Psychotherapie. Vor dem Hintergrund der seit Jahren steigenden Patientenanfragen nach Psychotherapie sowie nach psychiatrischer und psychosomatischer Behandlung und einer sich in der Coronakrise zuspitzenden Lage v. a. in den Kinder- und Jugendpsychiatrien stellte die LÄKH am 18. Mai mit einer Runde von Expertinnen und Experten das Positionspapier zur Bedeutung der ärztlich-psychotherapeutischen Versorgung vor.   

Man sei zusammengekommen, sagte der Initiator des Papiers Dr. med. Peter Zürner – Internist, Arzt für Psychotherapeutische Medizin und Physikalische Therapie und Präsidiumsmitglied der Kammer –, um  Öffentlichkeit und Politik daran zu erinnern, dass der ärztliche Blick bei der Behandlung von augenscheinlich „rein“ physischen wie auch „rein“ psychischen Krankheitsbildern unerlässlich sei. In der Öffentlichkeit verfestige sich zunehmend die Meinung, dass (nicht ärztlich ausgebildete) Psychologen und Psychotherapeuten die Experten auf dem Gebiet der Psyche seien. Tatsächlich arbeiteten Ärzte und Psychologen im Alltag erfolgreich zusammen und ergänzten einander zum Wohle der Patienten. „Psychologen sind nicht schlechter oder besser, sonders anders ausgebildet“, bekräftigte auch Dr. med. Barbara Jäger, in Offenbach niedergelassene Fachärztin für Psychotherapeutische Medizin und Psychoanalyse, Mitautorin des Positionspapiers sowie Präsidiumsmitglied der LÄKH. „Aber sie haben einen anderen Blick.“   

Die Bedeutung der Gesamtbetrachtung von Körper und Psyche hob ebenfalls Dr. med. Horst Löckermann – in Darmstadt niedergelassener Hausarzt, Facharzt für Allgemeinmedizin sowie Psychotherapeut – hervor. Seine Erfahrung zeige, dass bei mindestens einem Drittel der Patient/-innen, die mit körperlichen Beschwerden in seine Hausarztpraxis kommen, die Ursachen psychosomatischer Natur sind.

Wie stark Körper und Psyche zusammenhängen, verdeutlichte auch Jäger. Sie berichtete von einer Patientin, die wegen Gesichtsschmerzen jahrelang in zahnärztlicher Behandlung war und unzählige Operationen über sich ergehen lassen musste – bis sie den Weg in die ärztlich-psychotherapeutische Praxis fand. Im Rahmen der Psychotherapie konnten familiäre Probleme als wahre Ursache ausgemacht werden: „nach dem Motto: Zähne zusammenbeißen und durch.“ Mittlerweile lebe die Patientin weitgehend schmerzfrei.

Aus der Klinik berichtete Prof. Dr. med. Johannes Kruse, Ärztlicher Direktor der Klinik für Psychosomatik und Psychotherapie des Universitätsklinikum Gießen und Marburg und Mitautor des Positionspapiers. Es sei eine Tatsache, dass bei über der Hälfte der Patienten mit psychosomatischen Störungen auch eine chronische somatische Erkrankung besteht, wie Krebs oder MS. Daher bedürfe es des ärztlichen Blickes, um beides im Auge zu behalten und einen Gesamtbehandlungsplan zu entwerfen, in dem die Psychotherapie einen Teil bildet.   

Von einer starken Zunahme der Patienten mit Ess- und depressiven Störungen in der gegenwärtigen Coronapandemie berichtete PD Dr. med. Martina Pitzer, Fachärztin für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie, die als Klinikdirektorin der Vitos Kinder- und Jugendklinik für psychische Gesundheit in Eltville tätig ist. Hinzu komme, dass immer mehr minderjährige Patienten hohe Schweregrade aufwiesen. Aber auch die 13-jährige Magersüchtige mit Kreislaufproblemen müsse zunächst auf körperliche Ursachen untersucht werden. Auch gelte es, bei der psychotherapeutischen Behandlung die somatischen Probleme „stets mitzudenken“.

Der ebenfalls zugeschaltete Mitautor des Positionspapiers Prof. Dr. med. Martin Ohlmeier, Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie Ludwig-Noll-Krankenhaus am Klinikum Kassel, machte u.a. darauf aufmerksam, dass auch den psychiatrisch zu behandelnden Suchterkrankungen oftmals Depressionen und psychosoziale Konflikte zugrunde liegen.

In der anschließenden Diskussion wurde auch auf handfeste Zahlen verwiesen, um die Bedeutung der ärztlich-psychotherapeutischen Versorgung in der Öffentlichkeit bewusst zu machen:
So werde der überwiegende Teil der Patienten mit psychischen und psychosomatischen Störungen bereits im Rahmen der Psychosomatischen Grundversorgung von Haus- sowie Kinder und Jugendärzt/-innen betreut und behandelt (vgl. Bundesarztregister der Kassenärztlichen Bundesvereinigung 12/2020). Neben der ambulanten Versorgung auch durch Gynäkologen, Neurologen sowie durch niedergelassene Fachärzte mit psychotherapeutischer, psychiatrischer oder psychosomatischer Expertise gibt es noch den großen Bereich der (teil-)stationären Versorgung in psychiatrischen wie kinder- und jugendpsychiatrischen Fachkliniken, Suchtkliniken und Rehabilitationseinrichtungen.

Die ärztlich-psychotherapeutische Versorgung funktioniere über ein Stufenmodell, erklärte Kruse. Das Prinzip Hausarzt/niedergelassene Fachärztin/Klinik werde durch die virtuell anwesenden Expert/-innen – neben der Verfasser/-innen des Positionspapiers verkörpert. „Die erste Anlaufstelle ist aber immer die hausärztliche bzw. kinderärztliche Praxis“.

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