Anachronistisch: Gynäkologie und Geburtshilfe in der GOÄ

(Deutsches Ärzteblatt 100, Heft 19 (09.05.2003), Seite A-1294)

Die Amtliche Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) schreibt in vielen Abschnitten die Terminologie ihrer Vorläufer fort, ohne die seinerzeit in sich stringente Systematik oder das ursprünglich ausgewogene Bewertungsgefüge beibehalten zu haben.
So wird zum Beispiel in der Preußischen Gebührenordnung für approbierte Ärzte und Zahnärzte aus dem Jahr 1924 zwischen den Gebührenpositionen Nr. 65 a "Beistand bei einer Geburt ohne Kunsthilfe" (20 bis 200 Reichsmark), Nr. 65 b "Bei einer Gesichtslage, Beckenendlage oder engem Becken" (30 bis 300 Reichsmark) und Nr. 65 c "Bei einer Zwillingsgeburt die Hälfte von a) oder b)" unterschieden. In der heutigen GOÄ finden sich die verschiedenen Formen des Spontanpartus in einer Gebührenposition komprimiert wieder (Nr. 1 022 GOÄ "Beistand bei einer Geburt, ausschließlich Kunsthilfe", 75,77 bis 265,21 Euro). Die in der Legende von Nr. 1 022 genannten Erschwernisse (Risikogeburt, regelwidrige Kindslage, Mehrlingsgeburt), die vormals verschiedenen aufwands- und risikoäquivalenten Bewertungsstufen zugeordnet waren, können nun nicht mehr als Begründung für die Ausschöpfung des Gebührenrahmens herangezogen werden, weil sie Bestandteil der Leistungsbeschreibung geworden sind.

Abschnitt H (Gynäkologie und Geburtshilfe) der GOÄ ist ein besonders trauriges Beispiel für die vom Verordnungsgeber zu verantwortende Fehlentwicklung der Privatärztlichen Gebührentaxe. Dabei ist weniger gravierend, dass eine Vielzahl von Weiterentwicklungen, unter anderem in der Pränataldiagnostik und intrauterinen Therapie, in der Reproduktionsmedizin oder in der modernen operativen Gynäkologie bislang nicht im privatärztlichen Gebührenverzeichnis berücksichtigt wurde. Dieses Problem kann GOÄ-konform auf dem Weg der Analogbewertung gelöst werden. Problematischer ist es, wenn moderne Methoden auf veraltete Gebührenpositionen zurückgeführt werden müssen, weil die Bildung von Analogbewertungen nur dann zulässig ist, wenn das Gebührenverzeichnis keine - oder nur eine krass unterbewertete - Gebührenposition für die ärztliche Leistung bereitstellt (§ 6 Abs. 2 GOÄ).

So bleibt beispielsweise das Legen einer gestagendepothaltigen Spirale, auch Intrauterinsystem genannt, das Einlegen einer Spirale nach Nr. 1 091 GOÄ. Daneben kann die Zervixdilatation nach Nr. 1 096, die als selbstständige Leistung mit 148 Punkten höher bewertet ist als der komplexere Eingriff der IUP-Einlage nach Nr. 1 091 (106 Punkte), wegen der erforderlichen Beachtung des § 4 Abs. 2 a GOÄ nicht berechnet werden. Die gebührenrechtlichen Rahmenbedingungen müssen immer beachtet werden, auch wenn es sich um Leistungen auf Verlangen beziehungsweise individuelle Gesundheitsleistungen handelt.

Bei aller Skepsis gegenüber der im Rahmen des beabsichtigten Vorschlagsmodells erwogenen Einrichtung eines privatärztlichen Bewertungsausschusses: Die schwerwiegenden Ungereimtheiten in Abschnitt H GOÄ werden nur mit einer gründlicheren Überarbeitung des Kapitels, die nicht nur punktuell Weiterentwicklungen berücksichtigt, sondern auch Schiefstände und Altlasten beseitigt, zu bereinigen sein.

Dr. med. Regina Klakow-Franck
(in: Deutsches Ärzteblatt 100, Heft 19 (09.05.2003), Seite A-1294)