Der Behandlungsfall (2): Schwierige Definition

Deutsches Ärzteblatt 103, Heft 15 (14.04.2006), Seite A-1027

Die Allgemeinen Bestimmungen der Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) zu einzelnen Begrifflichkeiten sind nicht immer einfach zu verstehen. Besondere Schwierigkeiten bereitet auch zehn Jahre nach Einführung der geltenden GOÄ 96 der Begriff des "Behandlungsfalls". Der Begriff "Behandlungsfall" wurde dem Einheitlichen Bewertungsmaßstab entlehnt und sollte zur Konkretisierung des bis dahin verwendeten Begriffs "Krankheitsfall" dienen.

Der "Behandlungsfall" ist in den Allgemeinen Bestimmungen zu Abschnitt B der GOÄ definiert: "Als Behandlungsfall gilt für die Behandlung derselben Erkrankung der Zeitraum eines Monats nach der jeweils ersten Inanspruchnahme des Arztes."

Kontrovers diskutiert wird die Definition und Abgrenzung "derselben Erkrankung". Häufig werden alle Komplikationen einer Erkrankung bereits als neuer "Behandlungsfall" betrachtet. Dabei muss beachtet werden, dass der Verordnungsgeber im normalen "Behandlungsfall" beispielsweise die mehrfache Vergütung der Beratung nach Nr. 1 GOÄ und der symptombezogenen Untersuchung nach Nr. 5 GOÄ einschränken wollte. Tritt etwa bei der Behandlung einer verschmutzten Schnittwunde eine Infektion auf, die antibiotisch behandelt werden muss, so ist dies als derselbe "Behandlungsfall" zu werten. Tritt jedoch bei einem Grundleiden eine deutliche Verschlechterung ein, erleidet etwa ein Patient mit einer bekannten Arteriosklerose eine transitorisch ischämische Attacke, so handelt es sich um einen neuen "Behandlungsfall", da erneut eine Aufklärung und Beratung medizinisch notwendig werden. Ein ähnlicher Fall liegt vor, wenn bei einem Patienten mit bekanntem Diabetes mellitus eine Polyneuropathie neu festgestellt wird.

Schwieriger wird die Abgrenzung, wenn mehrere "Behandlungsfälle" dadurch parallel laufen, weil während der Behandlung der "ersten" Erkrankung eine "zweite" und unter Umständen noch weitere hinzukommen. Um die Abgrenzung der "Behandlungsfälle" zu verdeutlichen, Missverständnissen vorzubeugen und die Erstattung zu erleichtern, sind eindeutige Hinweise wie "neuer Behandlungsfall" am ersten Behandlungstag auf der Rechnung hilfreich. Gut wäre auch, wenn die Diagnose des neuen "Behandlungsfalls" an dieser Stelle ebenfalls vermerkt wäre, was jedoch in der Praxis aufwendig ist. Notwendig ist auf jeden Fall eine gute Dokumentation der Daten und Diagnosen in den (elektronischen) Krankenakten, damit auch die Rechnungserstellung ohne zeitaufwendige Rückfragen und Missverständnisse erfolgen kann.

Der Zeitraum "eines Monats" ist als Kalendermonat zu verstehen. Im Bürgerlichen Gesetzbuch wird die Monatsfrist in § 188 Abs. 2 so definiert, dass der Tag des Behandlungsbeginns bei der Berechnungsfrist nicht mitzählt. Wird ein Patient wegen einer neuen Erkrankung erstmalig am 2. Februar 2006 behandelt, so beginnt bei der Fortführung dieser Behandlung gebührenrechtlich ein neuer "Behandlungsfall" am 3. März 2006, am 4. April 2006, am 5. Mai 2006, am 6. Juni 2006 und so weiter. Eine Eselsbrücke: Monat plus eins und Tag plus eins.

Ein Beispiel zu den Einschränkungen des "Behandlungsfalls" in Bezug auf Beratung und Untersuchung ist im GOÄ-Ratgeber von Heft 13 2006 vom 31. März nachzulesen. Weitere Beispiele folgen im nächsten GOÄ-Ratgeber (Heft 17, 28. April 2006).

Dr. med. Anja Pieritz
(in: Deutsches Ärzteblatt 103, Heft 15 (14.04.2006), Seite A-1027)

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