Psychiatrische Gesprächsleistungen: Die medizinische Notwendigkeit zählt
Deutsches Ärzteblatt 106, Heft 7 (13.02.2009), S. A-312
Wie häufig dürfen psychiatrische Gesprächsleistungen angesetzt werden? Welche Voraussetzungen hat die Berechnung dieser Leistungen? Sind mehrere Gesprächsleistungen nebeneinander berechenbar? Solche Fragen stellen sich immer wieder und führen nicht selten zu Auseinandersetzungen zwischen Ärzten, Patienten und Kostenträgern.
Beispielsweise ging es bei einem Verfahren vor dem Landgericht Berlin in zweiter Instanz (LG Berlin 7 S 47/07 vom 3. Juli 2008) um die Frage, ob der Kostenträger gegenüber einer Versicherten die Erstattung für eingehende psychiatrische Untersuchungen nach der Nr. 801 der Amtlichen Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) und psychiatrische Behandlungen nach der Nr. 806 GOÄ auf eine bestimmte Häufigkeit pro Quartal begrenzen oder sogar ganz ablehnen darf. Ausschlaggebend für die Rechtsprechung in diesem Fall war ein Sachverständigengutachten, das die medizinische Notwendigkeit bezogen auf den Einzelfall bestätigt hatte. Konkret ging es um eine Patientin mit einer chronischen bipolaren affektiven Störung, bei der sich manische und depressive Phasen besonders häufig abwechseln (sogenanntes Rapid Cycling). Bei solchen Patienten kann sich die Notwendigkeit zu häufigen eingehenden psychiatrischen Untersuchungen und Behandlungen ergeben. Der Kostenträger wurde zur Erstattung verurteilt.
Die GOÄ enthält keine formalen Beschränkungen zur Häufigkeit des Ansatzes der Nrn. 801 und 806 GOÄ; deswegen ist auch im Rechtsverhältnis zwischen Arzt und Patient allein die medizinische Notwendigkeit gemäß § 1 Absatz 2 GOÄ ausschlaggebend. Dies gilt auch für die Frage der Nebeneinanderberechnung dieser beiden Gebührennummern (siehe hierzu GOÄ-Ratgeber im DÄ, Heft 44/2007).
Die Leistungslegende der Nr. 806 GOÄ lautet: „Psychiatrische Behandlung durch gezielte Exploration und eingehendes therapeutisches Gespräch, auch in akuter Konfliktsituation – gegebenenfalls unter Einschluss eines eingehenden situationsregulierenden Kontaktgesprächs mit Dritten –, Mindestdauer 20 Minuten.“ Beträgt die Dauer weniger als 20 Minuten, kann die Nr. 806 GOÄ nicht angesetzt werden, stattdessen jedoch die – geringer bewertete – Nr. 804 GOÄ: „Psychiatrische Behandlung durch eingehendes therapeutisches Gespräch – auch mit gezielter Exploration“. Da die Leistungslegende der Nr. 806 GOÄ die der Nr. 804 GOÄ vollständig einschließt, kommt ein Ansatz dieser beiden Gebührennummern nebeneinander (also für denselben Arzt-Patienten-Kontakt) nicht in Betracht. Auch ein Ansatz neben Gebührennummern für psychotherapeutische Gesprächsleistungen, zum Beispiel nach den Nrn. 849 und 860 bis 871 GOÄ, ist aus inhaltlichen Gründen nicht möglich.
Voraussetzung für den Ansatz der Nrn. 804 oder 806 GOÄ ist die Erbringung einer psychiatrischen Behandlung; ein anderes „therapeutisches“ oder beratendes Gespräch erfüllt nicht den Leistungsinhalt der Nrn. 804 und 806 GOÄ. Auch eine analoge Berechnung der Nrn. 804 oder 806 GOÄ für andere Beratungsleistungen ist nicht möglich. Nach § 6 Absatz 2 GOÄ kommt eine Analogbewertung nämlich nur für Leistungen in Betracht, die in das Gebührenverzeichnis nicht aufgenommen sind. Beratungen sind jedoch bereits im Abschnitt B (beispielsweise Nrn. 1 und 3 GOÄ) in die GOÄ aufgenommen.
Ulrich Langenberg
(in: Deutsches Ärzteblatt 106, Heft 7 (13.02.2009), S. A-312)