Stanzbiopsien der Prostata

Deutsches Ärzteblatt  107, Heft 22 (04.06.2010), S. A 1132

Für die Gewebsentnahme bei Verdacht auf Prostatakarzinom kann die Nr. 319 Amtliche Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ), „Punktion der Prostata oder Punktion der Schilddrüse“, angesetzt werden. Weder die Leistungslegende der Gebührenposition noch die Allgemeinen Bestimmungen des Abschnitts C III „Punktionen“ der GOÄ enthalten einen Hinweis auf eine der Anzahl nach begrenzte Berechnungsfähigkeit. Mit Verweis auf einen inzwischen obsoleten Beschluss des Ausschusses „Gebührenordnung“ der Bundesärztekammer aus dem Jahr 2003 wird jedoch nicht selten von privaten Krankenversicherungen und Beihilfestellen eine mehr als sechsmalige Erstattung der Nr. 319 GOÄ bei Prostatabiopsien abgelehnt. Nicht berücksichtigt wird dabei, dass der Ausschuss „Gebührenordnung“ aufgrund einer Auswertung der wissenschaftlichen Literatur bereits im Jahr 2005 seine Einschätzung revidiert und festgestellt hat, dass die Gebührenposition Nr. 319 mehrfach ansatzfähig ist, wenn im Rahmen der Prostatakarzinomabklärung mehrere Gewebsproben aus der Prostata entnommen werden. Maßgeblich ist dabei die medizinische Notwendigkeit nach § 1 Abs. 2 GOÄ. Hinsichtlich der Anzahl der zu entnehmenden Biopsien verweist der Ausschuss „Gebührenordnung“ auf Fachpublikationen und Leitlinien der (inter)nationalen wissenschaftlichen Fachgesellschaften; aus den vorliegenden Studien wird zur Gewährleistung einer hinreichenden diagnostischen Sicherheit eine Mindestanzahl von in der Regel zehn Biopsien abgeleitet.

In einer systematischen Übersichtsarbeit zur Frage der für eine suffiziente Prostatakarzinomdiagnostik notwendigen Anzahl von Biopsien wurde als Ergebnis einer Metaanalyse die Entnahme von zwölf Gewebezylindern emp-fohlen (Eichler et al., J. Urol. 2006; 175: 1605–12). Die aktuell gültige Leitlinie der European Association of Urology aus dem Jahr 2008 spricht sich für eine Mindestanzahl von zehn Prostatabiopsien aus, wobei diese je nach Prostatavolumen oder PSA-Serumwert angepasst werden könne (EAU Guidelines on Prostate Cancer, Eur. Urol. 2008; 53: 68–80). Gemäß der neuesten Version V.2.2010 der „Practice Guideline“ des US-amerikanischen National Comprehensive Cancer Networks zur Prostatakarzinomfrüherkennung werden ebenfalls zumindest zwölf Biopsien empfohlen (www.nccn.org). Als maßgeblich für den deutschen Versorgungskontext kann die „Interdisziplinäre Leitlinie der Qualität S3 zur Früherkennung, Diagnose und Therapie der verschiedenen Stadien des Prostatakarzinoms“, Version 1.0 vom September 2009, herausgegeben von der Deutschen Gesellschaft für Urologie, angesehen werden. In dieser Leitlinie findet man auch zur Stanzbiopsie der Prostata eine Reihe evidenzbasierter Empfehlungen. Hinsichtlich der zur Diagnostik notwendigen Anzahl der Gewebeproben wird konstatiert, dass bei der Stanzbiopsie der Prostata in der Regel zehn bis zwölf Gewebezylinder entnommen werden sollten (www.urologenportal.de).

Zusammenfassend erscheint eine fixe zahlenmäßige Beschränkung der Berechnung von Prostatabiopsien durch private Krankenversicherungen und Beihilfestellen nach der GOÄ nicht gerechtfertigt. Vor dem Hintergrund eines nachgewiesenen diagnostischen Zusatznutzens einer auf die lateralen peripheren Zonen erweiterten Prostatabiopsie sollte die tatsächliche Anzahl der durchgeführten Prostatagewebeproben erstattet werden.

Dr. med. Hermann Wetzel M. Sc.
(in: Deutsches Ärzteblatt  107, Heft 22 (04.06.2010), S. A 1132)

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