Abrechnungsempfehlungen: Rechtsverbindlich

Deutsches Ärzteblatt 99, Heft 16 (19.04.2002), Seite A-1112

Obwohl für den Interessenausgleich zwischen 7,5 Millionen Privatpatienten und 295 000 Ärzten in der Verantwortung stehend, hat der Verordnungsgeber der Gebührenordnung für Ärzte - das Bundesministerium für Gesundheit - durch Vernachlässigung der Aktualisierung des Leistungsverzeichnisses maßgeblich zu der gereizten Atmosphäre im Privatliquidationssektor beigetragen. Durch Verabschiedung von Abrechnungsempfehlungen versucht der Ausschuss Gebührenordnung der Bundesärztekammer, mehr Rechtssicherheit in Fragen der Bewertung neuerer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden oder sonstigen strittigen Fragen zu schaffen, wie beispielsweise zur Mehrfach- oder Nebeneinanderberechnung von GOÄ-Gebührenpositionen.

Den Beschlüssen des Ausschusses Gebührenordnung geht dabei - mit Unterstützung des Sachverständigenbeirats GOÄ - eine eingehende Begutachtung des medizinischen Sachverhalts voraus: durch Anhörung externer Sachverständiger, Einholen von Stellungnahmen von Fachgesellschaften und Berufsverbänden, ergänzende Recherche wissenschaftlicher Literatur. Mit gleicher Sorgfalt erfolgt eine gebührenrechtliche Prüfung auf Vereinbarkeit der jeweiligen Empfehlung mit den in der GOÄ verankerten Abrechnungsbestimmungen (unter anderem gemäß § 4 Abs. 2 a - "Zielleistungsprinzip", oder § 10 - Ersatz von Auslagen). Aufgrund der Bündelung von Sachkompetenz sowie der Partialinteressen übergreifenden Neutralität der Bundesärztekammer werden die GOÄ-Beschlüsse deshalb in der Regel nicht nur bei außergerichtlichen, sondern auch bei gerichtlichen Entscheidungsfindungen berücksichtigt - letztlich rechtsverbindlich wird eine Empfehlung oder GOÄ-Auslegung jedoch erst durch höchstrichterliche Entscheidung.

Um im Vorfeld mehr Rechtssicherheit für Abrechnungsempfehlungen zu erzielen, wurde 1997 auf Initiative der Bundesärztekammer der Zentrale Konsultationsausschuss für Gebührenordnungsfragen gegründet, an dem neben Vertretern des Bundesministeriums für Gesundheit und des Inneren (für die Beihilfe-Berechtigten) stimmberechtigt der Verband der privaten Krankenversicherungen e.V. beteiligt ist. Analogbewertungen, die von Kostenträgerseite "offiziell" konsentiert wurden, werden bei den Bekanntmachungen im Deutschen Ärzteblatt mit dem Präfix "A" gekennzeichnet, wie beispielsweise Nr. A 612 für die Videodokumentation von Muttermalen oder Nr. A 1006 für die weiterführende sonographische Fetaldiagnostik. Es war jedoch nie Zielsetzung des Konsultationsausschusses, alle GOÄ-Fragen bereinigen zu wollen. Dies würde den Rahmen dieses Gremiums sprengen.

So bleibt zum Beispiel die zeitaufwendige Entwicklung von Analogbewertungen neuerer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden eine originäre Aufgabe des Ausschusses Gebührenordnung der Bundesärztekammer. Auch wenn die Kostenträgerseite den Abrechnungsempfehlungen nicht "offiziell" zustimmt - die einzelnen Kostenträger, wie die Beihilfestellen und zahlreiche private Krankenversicherungsunternehmen, greifen im Zweifelsfall bereitwillig auf die Beschlüsse zurück oder suchen bei offenen Fragen den direkten Rat der Bundesärztekammer, weil das GOÄ-Interpretationsvakuum sonst unüberschaubar zu werden droht.

Dr. med. Regina Klakow-Franck
(in: Deutsches Ärzteblatt 99, Heft 16 (19.04.2002), Seite A-1112)